Von Ulf Küster
Ferdinand Hodler
27.01.2013 – 26.05.2013
Fondation Beyeler, Riehen
Ferdinand Hodler in der Fondation Beyeler – das ist ein besonderes Fest für die Augen. Die wunderbaren Berglandschaften, diese atemberaubenden Blicke über den Genfer See, die Alpengipfel über dem Nebelmeer: Niemand hat es besser als Ferdinand Hodler vermocht, die Faszination der Schweiz in Bildern darzustellen. Manchmal fragt man sich sogar, ob Hodler durch seine Gemälde die Alpensicht nicht eigentlich erst «erfunden» oder zumindest so stark beeinflusst hat, dass er zu einer Art Lehrer im Anschauen der Alpen geworden ist. Wer denkt nicht unwillkürlich an Hodler, wenn man in Bern über die Kirchenfeldbrücke fährt und vor sich Eiger, Mönch und Jungfrau sieht, darüber die Mondsichel? Oder wenn man mit der Bahn auf dem Weg nach Lausanne ist und direkt nach dem Tunnel bei Puidoux über den Genfer See blickt, unten eine leichte Dunstschicht, darüber die Berge? Hodler hat die kulturelle Identität des Landes geprägt: Sein Einfluss reicht sogar bis in die Politik. Eine Reproduktion seines grossen Wandbildes Der Rückzug von Marignano im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich hing im Bunker des Bundesrates während des Zweiten Weltkrieges. Die heroische Darstellung einer Niederlage, die dennoch zu einem Triumph wird, ist ein Symbol für die Schweizer Neutralitätspolitik geworden, dessen Werke zeitweilig sogar die Banknoten des Landes zierten. Unbestreitbar: Hodler ist in der Schweiz der berühmteste Künstler des Landes.
Ausserhalb der Landesgrenzen ist seine Popularität aber keineswegs so gross wie in seinem Heimatland. Dabei hat das Werk Hodlers nicht nur den Schweizern etwas zu bieten. Bester Beweis ist diese Ausstellung, die von der Fondation Beyeler in Kooperation mit der Neuen Galerie New York konzipiert wurde. Dort, an der 5th Avenue, in einem der interessantesten Museen New Yorks, war Hodler ein Riesenerfolg und für viele die Entdeckung des letzten Kunstherbstes. Wenn Hodler auch im Unterschied zu den USA hier nicht mehr wirklich entdeckt werden muss, ist doch die Ausstellung in der Fondation Beyeler, dem wohl meistbesuchten Kunstmuseum der Schweiz, eine wirkliche Chance, diesen zu Lebzeiten schon bestens nach München, Wien und Paris vernetzten Künstler in einem anderen Licht zu sehen und sein Spätwerk, das erstmalig in der Schweiz umfassend gezeigt wird, zu würdigen.
Die Ausstellung konzentriert sich auf Hodlers Spätwerk, Werke aus den letzten fünf Jahren seines Lebens, zwischen 1913 und 1918. Hodler, der sich aus einfachsten Verhältnissen zu einem damals weltbekannten Künstler emporgearbeitet hatte, dessen Bilder – schon damals – zu hohen Preisen gehandelt wurden, der sehr wohlhabend geworden war, musste niemandem mehr etwas beweisen. Befreit von äusseren Zwängen widmete er sich seinen bevorzugten Themen: Landschaften und Frauen, wobei er ebenfalls eine neue Leidenschaft für das Selbstporträt entwickelte und die vielfältigen Möglichkeiten der Farbe für sich neu entdeckte. Das Gefühl, nur noch eine begrenzte Lebenszeit zu haben, brachte ihn wohl dazu, sich mit Ewigkeit, mit der Endlichkeit des Lebens und der Unendlichkeit der Kunst zu beschäftigen.
Den Schwerpunkt der Ausstellung bilden Hodlers Landschaftsgemälde, besonders seine berühmten Nah- und Fernsichten auf die Alpen. Besonders wichtig und ergreifend sind die Bilder seiner Geliebten der späten Jahre, Valentine Godé-Darel. Die Mutter seiner 1913 geborenen Tochter Paulette hatte enorme Bedeutung für das Werk Hodlers. Kurz nach der Geburt der Tochter wurde bei Godé-Darel eine Krebserkrankung diagnostiziert. Ihr Leiden und ihren Tod hat Hodler in einer berühmten Serie von Zeichnungen und Gemälden begleitet. Niemals vorher ist das Sterben eines Menschen berührender dargestellt worden. Das präzise Protokoll des körperlichen Verfalls, das mit den Bildern der statisch ruhenden Toten endet, ist gleichzeitig ein bewegendes Dokument der Zuneigung durch einen Künstler, der Einfühlung wohl besonders durch seine Kunst zeigen konnte.
Sein letztes vollendetes Figurenbild, Blick in die Unendlichkeit, das in mehreren monumentalen Versionen existiert, zeigt fünf Frauen in blauen Gewändern, die in tänzerischer Bewegung dargestellt sind. Ihre Reihung ist theoretisch bis ins Unendliche fortzusetzen. Mit der Idee und der Ausführung der verschiedenen Fassungen beschäftigte sich Hodler von 1910 bis kurz vor seinem Tod 1918. Das grösste Bild der Serie, aus dem Kunstmuseum Basel, und die Version, die Hodler bei sich zu Hause hatte, können wir in unserer Ausstellung zeigen. Hod-ler ging es um eine Art Denkmal des «Ewig Weiblichen» und für ihn persönlich um eine Art Summe seines Lebens.
In den letzten Monaten vor seinem Tod konnte Hodler seine Wohnung kaum mehr verlassen, sein immer schlimmer werdendes Lungenödem, seine Asthmaanfälle schränkten seine Bewegungsfähigkeit stark ein. Ferdinand Hodler malte, bevor er selbst Teil der «grossen Einheit» wurde, wie er das einmal Cuno Amiet gegenüber genannt hatte, eine Serie von Blicken vom Balkon seiner Wohnung, über den Genfer See, auf den in der Ferne erscheinenden Mont Blanc, weil er nicht mehr in sein Atelier gehen konnte. Die Bilder zeigen diese Sicht zu unterschiedlichen Tageszeiten, vor allem aber am frühen Morgen, kurz vor Sonnenaufgang, wenn die Konturen klar umrissen sind, die Flächen aber nur wenig strukturiert als Farben erscheinen. Im zentralen Raum unserer Ausstellung sind die wichtigsten Werke aus dieser Serie vereinigt. Kündigt sich bei diesen Bildern die abstrakte Farbfeldmalerei eines Mark Rothko oder eines Barnett Newman an? Hodler benützt vor allem changierende Varianten zweier Grundfarben, Gelb und Blau: Hier geht es um das Wesentliche in der Malerei, um Farbe und Form, mit denen Hodler die grosse Einheit der Natur feiert.