Ursula Biemann, Acoustic Ocean, 2018

À bruit secret – Das Hören in der Kunst

Museum Tinguely

22.02.2023 – 14.05.2023

Annja Müller-Alsbach ist Kuratorin der Ausstellung «À bruit secret. Das Hören in der Kunst»
Annja Müller-Alsbach ist Kuratorin der Ausstellung «À bruit secret. Das Hören in der Kunst»

Die vierte von fünf Themenausstellungen, die sich auf experimentelle Art und Weise in die Welt der menschlichen Sinne begibt, rückt unseren Hörsinn ins Zentrum. Die Schau bietet eine Vielfalt von kunsthistorischen, immersiven sowie interaktiven Begegnungen mit uns bekannten und unbekannten Klangwelten dieser Erde. Sowohl historische als auch speziell für dieses Projekt realisierte Werke von rund 25 internationalen Kunstschaffenden animieren das Publikum zum genauen Hinhören und eröffnen mitunter akustische Bereiche, die für das menschliche Ohr normalerweise verborgen bleiben.
Wie hört sich die Klanglandschaft des Rheins in Basel an, oder wie klingt es unter der Wasseroberfläche des Ozeans? Lassen sich Stadtlärm oder tierische und menschliche Stimmen als bildnerisch-skulpturales Material verwenden? Wie verändern sich die Geräusche des Urwalds durch die Einflüsse des Menschen und den Klimawandel? Können Schallwellen auch anders als über die Ohren wahrgenommen werden und wie lassen sich akustische Phänomene visuell darstellen? 

Gezeigt werden Kunstwerke in verschiedenen Medien von der Zeit des Barocks bis zur Gegenwart. Die akustische Welt besteht aus einer Vielfalt an Klängen, die den Menschen wie eine universale «Komposition» umgibt. Hörerlebnisse rufen subjektiv und sozio-kulturell stark unterschiedlich geprägte Emotionen, Erinnerungen und Assoziationen hervor, die geschichtlichen Wandlungen unterliegen. Spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird die von Maschine und Technik bestimmte akustische Landschaft immer vorherrschender und dringt fast überall auf dieser Welt in den ursprünglichen Sound der Natur ein. Der Klangforscher Raymond Murray Schafer forderte eine Sensibilisierung unseres Hörsinns und legte wichtige Grundlagen für die sogenannte Ökoakustik, das Festhalten und Erforschen der sonoren Veränderungen unserer Ökosysteme durch Umwelteinflüsse und menschliche Eingriffe. À bruit secret inspiriert sich an diesem Aufruf, die Vielfalt an Geräuschen differenzierter wahrzunehmen. Anhand von Kunstwerken taucht das Publikum in verschiedene Klanglandschaften ein. Dabei trifft es auf Arbeiten, in denen das Element Wasser, die von Pflanzen und Tieren belebte Natur, Sprache als Grundlage von Kommunikation sowie der dissonante Lärm von grossen Metropolen eine Rolle spielen. 

Neben dem titelgebenden Readymade À bruit secret (With Hidden Noise, 1916/1964) von Marcel Duchamp werden auch weitere historische Werke der frühen Avantgarden des 20. Jahrhunderts sowie Positionen der 1950er bis 1970er-Jahre gezeigt. In jener Zeit erklären Kunstschaffende sämtliche Geräusche unseres Alltags, den Lärm von Maschinen, aber auch die Stille zum künstlerischen Material. Zum ersten Mal in der Schweiz überhaupt wird Robert Rauschenbergs Oracle (1962–1965) im Museum Tinguely präsentiert: Eine 5-teilige Assemblage aus diversen Fundobjekten, aus denen kakofonische Radiogeräusche erklingen und in der sogar Wasser fliesst.

Schon zu Beginn der Schau nimmt uns die neue Arbeit Il reno (2023) von Christina Kubisch mit in eine faszinierende Geräuschwelt: Hunderte Meter von blauem Kupferkabel bilden in der Passerelle la Barca minimalistische Klangfenster mit Blick auf den Rhein und die Stadt Basel. Über spezielle von Kubisch entwickelte Induktionskopfhörer erklingt beim Entlanggehen und Lauschen an den Elektrokabeln eine Komposition der Unterwassergeräusche des Rheins. Vor dem Museum trifft man auf die künstlerische Intervention There’s No Place Called Home (Solitude Park, 2023) von James Webb. Der südafrikanische Künstler überträgt dafür Tonaufnahmen ortsfremder Vogelstimmen aus Lautsprechern, die in Bäumen des Parks versteckt sind. Webb schleicht sich so mit den exotischen Rufen eines Paars von nicht heimischen Vögeln in eine bestehende Klanglandschaft ein.

Einige der gezeigten zeitgenössischen Positionen basieren auf wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen, wie etwa die begehbare Arbeit Espírito da floresta/Forest spirit (2017–2020) von
Marcus Maeder. Für uns normalerweise nicht hörbare Phänomene im Amazonasregenwald macht er mit Spezialmikrofonen akustisch erfahrbar. Ursula Biemanns Video Acoustic Ocean (2018) verweist auf vielschichtige thematische Ebenen rund um die Klangkulisse des Meeres, seine geheimnisvollen Sounds und die von ihm abhängigen Lebewesen.

In Rolf Julius’ partizipativer Arbeit Musik für die Augen (1982/Ausstellungskopie von 2023) wird klar, dass man nicht nur mit den Ohren hören, sondern auch mit den Augen Vibrationen der unsichtbaren Schallwellen erspüren kann. Abstrakte Kompositionen aus Formen und Farben haben die Kraft, akustische und sogar synästhetische Bildwelten alleine durch die Imagination heraufzubeschwören. Beispiel dafür sind die farbgewaltigen Papierreliefs aus der neuen Rhythm-Serie von Jorinde Voigt. Mit der Materialisierung der vibrierenden Sounds des Mikro- und Makrokosmos, die oft ausserhalb der menschlichen Hörfähigkeit liegen, beschäftigt sich Dominique Koch. Im Rahmen eines experimentellen Prozesses des Gemeinschaftsprojekts mit dem Musiker Tobias Koch www.terratones.fm entstanden ihre Sound Fossils (2022), in denen sie den durch Schallwellen erzeugten Luftdruck beim Abspielen von Tonaufnahmen kanalisierte und zum Blasen der Glasobjekte einsetzte. Die Künstlerin versteht sie als «Mutationen des Klangs, die als erstarrtes Glas die Zeit überdauern».

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