Eva Aeppli – «Livres de vie»
25.01. – 30.04.2006 | Museum Tinguely Basel
1953 verliess die Künstlerin Eva Aeppli an der Seite von Jean Tinguely die Stadt Basel in Richtung Paris. Die erste Frau Tinguelys schuf Zeichnungen, Gemälde, Figuren und Bronzeköpfe und dokumentierte ihr Leben und das ihrer Freunde in Lebensbüchern, «Livres de Vie», die im Museum Tinguely erstmals gezeigt werden.
Von Andres Pardey
Als Eva Aeppli 1953 mit Jean Tinguely nach Paris zog, liess sie in Basel vieles zurück. Ihr Elternhaus mit den zwei Brüdern Christoph und Vital, eine anthroposophisch geprägte Kindheit und Jugend, politisch und gesellschaftlich wache und aufmerksame Eltern, die den Kindern die Schrecken der Naziherrschaft in Deutschland nicht verheimlichten. Dann aber auch ihre beiden Kinder, Felix Leu, den sie mit ihrem ersten Mann, dem Architekten Hans-Felix Leu gehabt hatte, und Miriam Tinguely, die Tochter von Eva und Jean. Sie blieb bei Jeans Eltern und wuchs in Bulle auf. Eva und Jean kamen in eine Stadt, deren Kunstleben äusserst bewegt war. Und Jean stürzte sich gleich hinein, wurde Teil dieser Kunstszene, und fand schnell Anschluss an den Kreis jener Künstler, die später als Nouveaux Réalistes in die Geschichtsbücher eingehen sollten. Paris wurde zu seinem Tummelplatz, hier fühlte er sich wohl. Ganz anders Eva. Als sie 1955 in das Atelier im Impasse Ronsin zogen, wurde die Künstlerkolonie zu Tinguelys Heimathafen – und zu ihrem Versteck. Sie zog sich zurück, wollte nichts wissen von den Künstlern und schon gar nicht von der Kunstszene. Der junge Fotograf Joggi Stoecklin, der einige Jahre das Leben im Impasse Ronsin teilte, dokumentierte das Leben von Eva und Jean und fotografierte die Zeichnungen, die in dieser Zeit entstanden. Es sind Darstellungen voller Einsamkeit und Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Kaum einen grösseren Kontrast könnte man sich vorstellen zwischen der Lebenslust, die von Tinguely und seinen Künstlerfreunden ausging, die sich an die Eroberung der Welt mit Kunst gemacht hatten, und der in sich gekehrten, unfreudigen Zeichnungen von Eva Aeppli. Ihre Kunst war der Gegenentwurf zu alledem, was unbeschwert und fröhlich-anarchisch um sie herum brodelte, zu diesen Weltentwürfen von Yves Klein, diesen Kunstrevolutionen Tinguelys und den theoretischen Interpretationen von Pierre Restany und Pontus Hulten. Während Tinguely bereits 1955 Stockholm und Mailand eroberte, trat Eva wohl manche Reise nach innen an, um den Ängsten und der Verzweiflung zu wehren. In dieser Zeit entstanden die ersten Bände der «Livres de Vie». Die erste Doppelseite des ersten Bandes zeigt die untere Hälfte des Plakats zur ersten Ausstellung von Eva, die – das einzige Mal überhaupt – unter dem Namen «Tinguely» in einer Pariser Galerie im Januar 1954 ihre Zeichnungen zeigte. Auf der linken Seite sind Fotos eingeklebt, von Tinguely und Daniel Spoerri, diesem so wichtigen Freund der ersten Jahre in Paris. Ein Foto von Eva mit ihrem ersten Mann Hans-Felix Leu sowie ein Manuskript, das anlässlich einer Eröffnung einer Tinguely-Ausstellung in Düsseldorf gelesen wurde. Der Text stammt von Spoerri und beinhaltet Passagen wie: »… tinguelys frau heisst eva. alles, auch seine apparate sind ihm gleichgültiger als seine frau eva. seine frau ist vielleicht das einzige, das ihm wirklich nicht gleichgültig ist…». Ein Jahr später, 1960, trennten sich die zwei Künstler, Tinguely lebte in der Folge mit Niki de Saint Phalle, und Eva heiratete den amerikanischen Anwalt Samuel Mercer, mit dem sie in der Nähe von Paris und in Omaha (Nebraska) lebte. Die Freundschaft mit Tinguely und mit Niki aber überdauerte diesen Bruch und ist in ihrer ganzen Intensität in den «Livres de Vie» dokumentiert, wie auch diejenige mit anderen Künstlern, Spoerri eben, Jean-Pierre Raynaud oder mit dem Physiker François Plouin. Die Freundschaften und ihre Pflege nehmen im Leben von Eva Aeppli einen wichtigen, wenn nicht den zentralen Platz ein. Dies wird in den «Livres de Vie» spürbar und in den Werken, ihren Besitzern und den Schenkungen, die Freunde in ihrem Namen vornahmen. Auf diese Weise kam das Moderna Museet in Stockholm, dank der Vermittlung ihres Freundes und Förderers Pontus Hulten, zu seiner grossen Sammlung von zentralen Werken von Eva Aeppli. 1960 war auch künstlerisch ein wichtiges Jahr. Die Zeichnungen waren abgeschlossen, nun malte Eva Aeppli. Es entstanden grossformatige Bilder von Totenkopfflüssen, Skelettpartys und Knochentänzen. Morbid. Tot. Wie Muster breiten sich die Schädel auf der Leinwand aus, der Bildrand begrenzt nichts, gibt nur den Ausschnitt aus dem offenkundig viel grösseren Geschehen an. Und wie die Schädel Muster bilden und die Skelette Schraffuren, so verliert auch fast unbemerkt der Tod ein wenig von seinem Schrecken, Ironie schleicht sich ein oder Sarkasmus, das Hintergründige, Doppeldeutige, dieser Wille, sich immer eine Hintertür in den Witz offen zu lassen. Ab der Mitte der sechziger Jahre entstanden die Figuren, lebensgrosse Menschenfiguren aus Stoff, deren Köpfe und Hände genäht und mit Kapok gestopft wurden. Diese Figuren und Figurengruppen zeichnen sich – nebst der handwerklichen Virtuosität – durch eine höchst ausgebildete Individualität aus: Die Künstlerin schuf Charaktere, es entstanden Skulpturen, die den Menschen in all seiner Diversität schilderten. Natürlich stand Eva Aeppli mit all ihrer Kunst neben dem, was der Kunstbetrieb verlangte. Figürlich zu arbeiten, und dann auch mit Nadel und Faden, und das auch noch als Frau – dies war auch in den bewegten sechziger Jahren zu viel.
Die Künstlerin wurde kaum beachtet und regelmässig übergangen, selbstverständlich war sie nicht Teil der Nouveaux Réalistes, die Anerkennung blieb ihr weitgehend versagt. Ab der Mitte der siebziger Jahre dann entstand der vierte und letzte Werkteil: die Bronzeköpfe. Eva Aeppli hatte, nachdem sie eine Gruppe von zehn Planeten genäht hatte, erkannt, dass die Körper und Hände überflüssig seien. Der ganze Ausdruck der Figuren lag in den Köpfen, auf die sie sich in der Folge konzentrierte. Es entstanden – Eva Aeppli beschäftigte sich zu dieser Zeit intensiv mit Astrologie – die Serien der Planeten, der Sternzeichen und, als letzte Werkgruppe, diejenige der menschlichen Schwächen. Es sind Schilderungen typischer Charaktere, überzeichnet, fast karikierend, und gleichzeitig so treffend und präzise, dass ein Wiedererkennen fast schon in ihnen angelegt ist. Mit Eva Aeppli zeigt das Museum Tinguely das Werk einer Künstlerin, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ihren eigenen Weg gegangen ist und die sich nie den Zwängen des Marktes oder der Erwartung unterworfen hat. Es ist ein Werk neu zu entdecken, das voller Kraft und Eigenständigkeit seine Position behauptet.