Bei ihren Recherchen für die laufende Ausstellung «Die Picassos sind da!» im Basler Kunstmuseum sind die beiden Co-Kuratorinnen Anita Haldemann und Nina Zimmer in Basler Sammlungen auf überraschende und teilweise noch nie öffentlich gezeigte Werke gestossen. Auf den folgenden Seiten stellen sie einige dieser Kostbarkeiten in Kombination mit Werken aus der eigenen Sammlung vor. Aufgezeichnet von Sibylle Meier
Die Picassos sind da!
Eine Retrospektive aus
Basler Sammlungen
17.03.2013 – 21.07.2013
Kunstmuseum Basel
Tête de Fou, 1905
“Das war eine Entdeckung in einer Basler Privatsammlung, mit der wir überhaupt nicht gerechnet hatten. Wir haben dort verschiedene Bilder angeschaut, und auf einmal kamen wir in einen Raum, in dem überraschend diese Skulptur stand. Es handelt sich um eine sehr seltene Skulptur, die wir in Basel nicht erwartet hätten und vom Motiv her der rosa Periode zugerechnet wird. Darum zeigen wir dieses Werk auch im Kontext mit den Deux frères, die Picasso 1906 gemalt hat. Für uns ist besonders schön, dass es dieses Harlekin-Motiv in einer Skulptur gibt. In jener Zeit hat Picasso oft Strassenjungen, Artisten und Harlekins gezeichnet und gemalt. Dieses Motiv wird später, in den 1920er-Jahren, in Picassos Werk eine sehr wichtige Rolle spielen, und aus jener Zeit können wir in unserer Ausstellung drei Gemälde mit dem Harlekin-Motiv zeigen.
Wann dieses Werk gegossen wurde, ist nicht geklärt. Wir gehen aber nicht davon aus, dass der Tête de Fou bereits 1905 gegossen wurde, weil ein Bronzeguss für einen jungen Künstler immer eine sehr grosse Investition war, für die er zuerst jemanden finden musste, der das Vorhaben finanzierte. Diese Skulptur wurde von Picassos Galeristen Ambroise Vollard gegossen.“
Nina Zimmer
Le repas frugal, 1904
“Dieses Blatt wurde vom Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel sehr früh, 1926, angekauft. Es handelt sich um die allererste Druckgrafik, die Picasso angefertigt hat. Eine Radierung in diesem Format war zu jener Zeit überhaupt nicht üblich. Er hat bei dieser Arbeit ein sehr feines, differenziertes Schraffursystem angewendet, und es ist erstaunlich, dass er dies auf Anhieb beherrscht hat. Druckgrafik ist für viele Künstler eine Herausforderung, weil sie die Technik wirklich beherrschen müssen. Aber genau das hat ihn gereizt – dieses Material in den Griff zu bekommen. Damals, 1904, hat ihn ein Künstlerkollege im Atelier in die Materie eingeführt, ihm eine Platte gegeben und er hat einfach losgelegt.
Auch dieses Werk zeigt sein Interesse an Randfiguren wie Zirkus-akrobaten, Prostituierten oder, wie auf diesem Bild, armen Leuten, zu denen Picasso damals auch gehörte. Er scheint sehr viel Zeit in diese Technik des Radierens investiert zu haben, obwohl er – es war zu Beginn seiner blauen Periode – kaum Bilder verkaufen konnte. Die ersten Abzüge verschenkte er an Kollegen, und erst später konnte sein Galerist Ambroise Vollard eine Auflage drucken, die über den Kunstmarkt verkauft wurde. Mit dieser Druckgrafik gelang Picasso ein Meisterwerk, dessen differenzierte Graubabstufungen malerische Qualitäten aufweisen.”
Anita Haldemann
Esquisse pour «les Demoiselles d’Avignon», Étude pour «les Demoiselles d’Avignon»
“Diese beiden Zeichnungen sind Geschenke: Die rechte Skizze behielt Picasso sechzig Jahre lang in seinem Atelier, schenkte sie nach der Volksabstimmung im Jahre 1967 dem Kunstmuseum Basel. Die linke Skizze, die etwas später entstanden ist, hat uns Douglas Cooper geschenkt, ein enger Freund von Picasso, einfach weil er so begeistert war von der Basler Kubismus-Sammlung. Insgesamt hat Picasso für sein wohl bedeutendstes Werk Les Demoiselles d’Avignon 19 Vorzeichnungen gefertigt und diverse kleine «Carnets» mit diesem Motiv gefüllt. Er brauchte einfach eine gewisse Zeit, um dieses Motiv zu entwickeln und so radikal werden zu lassen.
Picasso hat hier ein Motiv des 19. Jahrhunderts, eine Bordellszene, genommen und alle narrativen Elemente weggelassen und verbindet die schon fast aggressiv wirkende kommerzielle Sexualität dieser Frauen mit der afrikanischen Skulptur, die fremd, archaisch und wild wirkt. Zusätzlich zu seiner neuen Formenspache, macht diese Verbindung, auf revolutionäre Art das Moderne in diesen Werken aus.”
Anita Haldemann
Femme au béret orange et au col de fourrure, 1937
“Dies ist unser Plakatmotiv, und es handelt sich nun wirklich um eine Trouvaille. Nachdem Picasso dieses Bild gemalt hatte, wurde es nur ein einziges Mal ausgestellt, sehr kurz in der Galerie Beyeler. Ein Basler Sammler hat es damals gekauft und es wurde nie wieder ausgeliehen, nie wieder ausgestellt. Niemand kannte dieses Gemälde.
An diesem Bild lässt sich gut erklären, wie man Picas-sos Modelle erkennen kann: Klassisch, blond und eine Nase, die gerade in einer Linie in die Stirn übergeht – das ist Marie-Thérèse Walter. Braune Haare und das Gesicht in einzelne Anatomieteile zerstückelt und kompliziert – das ist die schwierige Dora Maar. Es war die Zeit, in der Picasso in einer Vierecks-Beziehung lebte, und Dora Maar, selbst eine Künstlerin, eine Fotografin, die sich im Surrealisten-Zirkel bewegte, war sicherlich die anspruchvollste und stärkste Geliebte Picassos.”
Nina Zimmer