Balthus, La Partie de cartes, 1948–1950

Balthus in der Fondation Beyeler

Fondation Beyeler
02.09.2018 – 01.01.2019

Die Autoren dieses Textes sind Dr. Raphaël Bouvier, Kurator der Fondation Beyeler und Michiko Kono, Associate Curator der Fondation Beyeler. Sie haben die Ausstellung «Balthus» kuratiert.
Die Autoren dieses Textes sind Dr. Raphaël Bouvier, Kurator der Fondation Beyeler und Michiko Kono, Associate Curator der Fondation Beyeler. Sie haben die Ausstellung «Balthus» kuratiert.

Balthus zählt zu den grossen Meistern der Kunst des 20. Jahrhunderts und erweist sich dabei als einer der singulärsten. In seinem vielschichtigen und facettenreichen Schaffen, das ebenso Verehrung wie Ablehnung erfährt, verfolgte Balthus einen künstlerischen Weg, der alternativ, ja geradezu entgegengesetzt zu den Strömungen der modernen Avantgarden verlief.

Balthus, Le Passage du Commerce Saint-André, 1952–1954
Balthus, Le Passage du Commerce Saint-André, 1952–1954

Das Werk Passage du Commerce-Saint-André des legendären Malers Balthus (1908–2001) befindet sich seit mehreren Jahren als Dauerleihgabe in der Fondation Beyeler. Es ist benannt nach einer kleinen Durchgangsstrasse, die quer zum Pariser Boulevard Saint-Germain verläuft und die hier in die Kulisse einer seltsamen Begegnung in sich gekehrter Figuren verwandelt worden ist. Dieses monumentale Gemälde bildet den Ausgangspunkt für die retrospektiv angelegte Ausstellung, die dem grossen Meister der Kunst des 20. Jahrhunderts gewidmet ist. Zu sehen sind zahlreiche Hauptwerke aus sämtlichen Schaffensphasen des Künstlers – Porträts, Interieurs, Landschaften und Strassenszenen –, in denen sich Balthus’ intensive Auseinandersetzung mit räumlichen und zeitlichen Aspekten manifestiert.

Trotz der fortwährenden Beziehung Balthus’ zur Schweiz ist dies die erste Ausstellung in einem Schweizer Museum seit zehn Jahren und die erste umfangreiche Präsentation seines Schaffens in der deutschsprachigen Schweiz überhaupt. Tatsächlich verbrachte der Künstler seine Kindheitsjahre in Bern, Genf und Beatenberg. Seine erste Ehefrau war die Bernerin Antoinette de Watteville, mit der er unter anderem in der französischen sowie der deutschen Schweiz lebte. Die letzten Jahrzehnte seines Lebens residierte Balthus im imposanten Grand Chalet im alpinen Rossinière. Auch verband ihn seit den 1930er-Jahren eine tiefe Freundschaft mit Alberto Giacometti, den er auch als Künstler überaus schätzte.

Balthus, Thérèse, 1938
Balthus, Thérèse, 1938

Balthus verfolgte stets einen eigenwilligen künstlerischen Weg, der sich keiner Strömung zuordnen liess und aus ihm einen Einzelgänger machte. Seine Malerei ist geprägt von kunsthistorischen Traditionen und Vorläufern, die vom Meister der Frührenaissance Piero della Francesca über Nicolas Poussin, den Hauptvertreter des französischen Klassizismus, bis hin zu Füssli, Courbet und Cézanne reichen. Zugleich sind bei näherer Betrachtung aber auch Impulse moderner Kunstbewegungen, etwa der Neuen Sachlichkeit sowie des Surrealismus, auszumachen. Balthus erweist sich als Künstler des Widerspruchs und der Irritation, in dessen ebenso ruhevollen wie spannungsreichen Werken Gegensätze aufeinandertreffen, indem sich Wirklichkeit und Traum, Erotik und Unschuld, Sachlichkeit und Rätselhaftigkeit sowie Vertrautes und Unheimliches auf einzigartige Weise verbinden.

Erfährt Balthus’ Werk Verehrung, stösst es in manchen Fällen auch auf Ablehnung. Trotz der Vielschichtigkeit seines malerischen Schaffens wird es häufig mit seinen Darstellungen junger Mädchen assoziiert. Diese treten in seinen Bildern oftmals schlafend oder lesend, sich im Spiegel betrachtend, entblösst, tagträumend oder mit gelangweilter Miene auf. Ihre Selbstvergessenheit und Unnahbarkeit sind Zustände, die Balthus insbesondere Mädchen in der Adoleszenz zuschrieb und die ihn an diesem Motiv interessierten. Bei genauerer Betrachtung seiner Porträts weiblicher Figuren ist auffällig, dass Balthus sie stets in würdevoller Haltung porträtiert hat. Auch entblösst und in aufreizender Pose vermitteln seine Protagonistinnen nicht den Eindruck von Unterwerfung oder Demütigung. Gegen Balthus sind hinsichtlich seines Verhaltens Modellen sowie generell jungen Mädchen oder Frauen gegenüber niemals Anschuldigungen vorgebracht worden.

Balthus, Le Chat au miroir III, 1989–1994
Balthus, Le Chat au miroir III, 1989–1994

In jüngster Vergangenheit erregte sein Meisterwerk Thérèse rêvant von 1938, das sich in der Sammlung des Metropolitan Museum of Art in New York befindet, viel Aufmerksamkeit. In einer Petition wurde die Abhängung oder die weitergehende Kontextualisierung des Gemäldes gefordert, was eine umfassende Debatte über die Möglichkeiten und Funktionen der Kunst auslöste. Die Ausstellung in der Fondation Beyeler wird begleitet von verschiedenen Angeboten wie einer Podiumsdiskussion, Spezialführungen, Kunstvermittlern, die in den Ausstellungssälen direkt angesprochen werden können, und einer Kommentarwand. Dieses besondere Vermittlungsprogramm lädt zu einer Fortführung der Diskussionen über die Freiheit und Grenzen der Kunst ein. Nicht zuletzt aber soll die Ausstellung einen Einblick in Balthus’ facettenreiches und mehrdeutiges Œuvre und seine intensive Auseinandersetzung mit Raum und Zeit sowie deren Verhältnis zu den Bildfiguren bieten.

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