Museum Tinguely | bis 28. November 2021
Bruce Conners (1933–2008) kritische Haltung zur Kunstwelt ist ebenso legendär wie sein Ruf als Vater des Videoclips. Er ist einer der herausragenden Künstler des 20. Jahrhunderts – ein ‹Artist’s Artist›. Die Ausstellung Bruce Conner. Light out of Darkness ist bis zum 28. November im Museum Tinguely zu sehen und stellt sein experimentelles filmisches Werk mit einer repräsentativen Auswahl von neun Filmen vor, darunter die Arbeit CROSSROADS (1976), die Filmmaterial des ersten US-Unterwasser-Atombombentests von 1946 beim Bikini-Atoll zu einer 36-minütigen Studie über Horror und Sublimität dieses apokalyptischen Ereignisses zusammenfügt. Sein Schaffen in unterschiedlichen Medien ist radikal und vielseitig, von berückender Schönheit und erschreckender Düsterheit, politisch, subversiv und von einer unmittelbaren sinnlichen Kraft, die unter die Haut geht. Viele seiner frühen Collagen, Assemblagen und Installationen sind nur selten zu sehen, weil sie – aus armen, ephemeren Materialien wie Nylon, Wachs oder verschlissenen Textilien zusammengefügt – hochfragil sind. Conners Haltung ist anarchistisch, geprägt von beissender Ironie, grenzenloser Dedikation und grösstmöglicher Ferne zum Kunstmarkt.
Die Ausstellung Light out of Darkness referiert auf ein nicht realisiertes Einzelausstellungsprojekt mit demselben Titel für das University Art Museum in Berkeley Mitte der 1980er-Jahre. Es scheiterte nicht zuletzt aufgrund von Conners Kompromisslosigkeit im Umgang mit Institutionen, die Regeln im Umgang mit Kunst und Künstler*innen aufstellen, die er nicht akzeptieren wollte. «Licht aus Dunkelheit» betont den experimentellen Charakter seines Filmschaffens, das besonders in den frühen Arbeiten einer fulminanten Befragung perzeptiver Möglichkeiten gleicht. Als symbolische Dualität steht Licht und Dunkelheit für das Denken des Künstlers in Gegensätzen, Metaphern und Mystizismen.
Die analoge 16mm-Filmtechnik basiert auf 24 Einzelbildern pro Sekunde, die beim Abspielen Bild für Bild belichtet werden. Erst die Trägheit der Wahrnehmung des menschlichen Auges generiert einen Fluss von Bewegtbildern. Conners experimentelles Filmschaffen bewegt sich im Spielfeld zwischen den Möglichkeiten der retinalen Wahrnehmung, einem rhythmisch strukturierten Bilderfluss im Zusammenspiel mit Musik, und der medienkritischen Frage, wie Sinn und Unsinn durch Bild und Ton generiert und manipuliert werden können.
Seinen ersten Film A MOVIE (1958) collagiert Conner mit einem Produktionsbudget von drei US-Dollar aus ‹found footage› von Nachrichtensendungen, B-Movies und filmtechnischer Grafik. Mit diesem radikalen Filmexperiment de- und rekonstruiert er Techniken des Filmschaffens und des Storytellings und lotet gleichzeitig die Grenzen des Wahrnehmbaren durch Effekte der Überreizung, Blendung, Überblendung und der Verwendung von Nachbild-Effekten aus. A MOVIE verknüpft einen Überschuss an dramatischen Filmhöhepunkten zu einer neuen, offenen und mehrfach lesbaren Abfolge von Handlungen ohne Anfang und Ende – zu einem ‹Méta-Film›. Mit dem ebenfalls gezeigten Film REPORT (1963–67) kritisiert Conner die sensationsgierige mediale Aufbereitung des Attentats auf John F. Kennedy, während die zwei Versionen von LOOKING FOR MUSH-ROOMS (1959–67 und 1959–67/1996) psychedelische Erfahrungen als kaleidoskopartige Bilderkaskaden visualisieren.
Mit CROSSROADS (1976) gelingt es Conner, Aufzeichnungen der zweiten, «Baker» genannten Explosion zu erhalten, die in den National Archives unter Verschluss gehalten wurden. Mit ihnen ist nicht nur ein Bild des atomaren Horrors verknüpft, sondern auch vorher ungesehene, hochästhetische Phänomene visualisierter elementarer physikalischer Wucht. In diesen Bildern findet Conner das Erhabene und visuelle Exuberanz, mit denen er – ohne sie weiter zu bearbeiten – durch Wiederholung und Aneinanderreihung einen dramatischen Film schaffen kann. Ähnlich geht Conner in den zwei Filmen TAKE THE 5:10 TO DREAMLAND (1977) und VALSE TRISTE (1978) vor, die kontemplative, sinnliche und persönliche Erfahrungswelten vorstellen.
Seine wichtige Vorreiterrolle als Vater des Music-Clips, wie er durch MTV popularisiert wurde, zeigt zum Beispiel MEA CULPA (1981), ein Meisterwerk des visuellen Samplings. Conner fokussiert sich auf das Recycling historischer Grafik-Animationen von Physik-Lehrfilmen. Über dem sich wiederholenden «Basso Continuo» von Darstellungen des elektrischen Stromflusses und der Visualisierung thermodynamischer Effekte illustriert er den pulsierenden Rhythmus des Musikstücks mit Polaritäten zwischen Schwarz und Weiss, sich fortpflanzenden Bewegungen durch kollidierende Punkte und Körper, und stroboskopischen visuellen Attacken. Die Initiative für die Zusammenarbeit ging von David Byrne aus, der von Conners Filmen seit seiner Studienzeit begeistert war. In der experimentellen Kooperation von Byrne und Brian Eno für das Album My Life in the Bush of Ghosts verwendeten die zwei Musiker ausschliesslich vorgefundene Stimm-Samples. Die Nähe zu musikalischen Parametern und zu befreundeten Musikern und Komponisten prägte Conners Schaffen nicht nur in Musikfilmen wie MEA CULPA oder MONGOLOID (1978).