Kulturstiftung Basel H. Geiger
5. Mai bis 10. Juli 2022
So wie die Natur die Fähigkeit zur Rückeroberung des menschlichen Lebensraums hat, so werden Carlo Borers raumfüllende Installationen sich unter dem Titel «Sleeping with the Gods» den Ausstellungsraum der Kulturstiftung Basel H. Geiger | KBH.G vom 5. Mai bis 10. Juli einverleiben. Die unterschiedlichen Installationen und organischen Formen der eigens für den Ausstellungsraum entworfenen und in einem hochkomplexen Verfahren angefertigten Arbeiten aus poliertem Edelstahl sind dabei bis auf den Bruchteil eines Millimeters präzise kalkuliert. Jede Verjüngung oder Erweiterung der Form speist sich aus Meilensteinen auf der Zeitleiste der Evolutionsgeschichte. Einerseits aus Daten der Bevölkerungsentwicklung der Erde, gestützt auf Modellierungen der Uno, oder aus der dramatischen Regression der Artenvielfalt im Tierreich. Eine formschöne, wie auch eindringliche künstlerische Demonstration, wie beides in Zusammenhang steht.
Carlo Borer nennt sich selbst Objektbauer und schafft Kunst mit modernsten Mitteln. Die angewandten Techniken und Materialien stammen meist aus der Industrie. Bestimmend sind die Komponenten Formgebung, Material und Wirkung sowie seine Herangehensweise analog einem Forscher im Labor. Seine Ideen trägt er meist lange mit sich, bevor er ihnen mit Unterstützung komplexer Software Gestalt verleiht. In der Umsetzung holt er sich nationale und internationale Spezialisten zur Hilfe, die ihn bei der Umsetzung seiner Visionen unterstützen.
Bevölkerungswachstum und Artensterben
Die Entwicklung der Menschheit, das Tempo, in welchem der Mensch sich auf der Erde ausbreitet und die Skrupellosigkeit, mit der er sie ausbeutet, treibt den Künstler Carlo Borer um. Andererseits ist er vom technologischen Fortschritt und den damit verbundenen Entwicklungen fasziniert. Sie dienen ihm als Grundlage für seine Arbeit, in welcher er aus komplexen wissenschaftlichen Daten mittels CAD- Programmen (Computer-Aided Design) aussergewöhnliche Kunstkörper schafft. Für den Künstler kein Widerspruch, aber so sagt er: „Wir sind neben den Insekten die erfolgreichsten Lebewesen der Erde, aber ich befürchte, dieser Erfolg wird auch unser Verderben sein.“ So steht das Hauptwerk der Ausstellung für die schiere Anzahl an Menschen, die auf unserem Planeten leben. Rein materiell oder grobstofflich gesehen sind wir Biomasse, die ständig zunimmt und dadurch andere Lebewesen aus ihrem natürlichen Lebensraum verdrängt, sie ausrottet und die Natur zerstört. Für Raphael Suter, Direktor der Kulturstiftung Basel H. Geiger | KBH.G dennoch kein Grund zur Hoffnungslosigkeit: „Wir haben das Wissen und die Fähigkeit, unser Handeln zu hinterfragen und müssen es grundlegend ändern. Wenn die Kunst und unsere Ausstellung hierzu einen Denkanstoss liefern kann, sehen wir darin eine wichtige Aufgabe unserer Kulturstiftung.“
Zerstörerische Maschinen und Fragmente eines schutzlosen Planeten
Der Erstkontakt der Besucher:innen mit der Welt von Carlo Borer erfolgt über die Figur „Digger“, einer unheimlichen Konstruktion zwischen Alien und Abbaumaschine, wie man sie aus dem Tagebau kennt. Sie ist Sinnbild für die Ausbeutung der Natur durch den Menschen und nimmt eine mögliche Verselbstständigung, die für ihre Schöpfer nicht mehr kontrollierbar ist, vorweg. Dahinter folgt in einem zweiten Ausstellungskomplex eine Installation, die einen Teil der Mondlandschaft, basierend auf Daten der NASA, eins-zu-eins wiedergibt, lediglich in fragmentierter Form. Der Mond steht für Borer als Sinnbild eines toten Planeten. In der hier gezeigten Form hat er sich in seine Bestandteile aufgelöst, dient der Wissenschaft lediglich noch als forensisches Forschungsobjekt, dessen Zerstörung mit derselben rationalen Akribie untersucht wird, wie die Trümmer eines Flugzeugwracks. Beide eint der Wunsch, retrospektiv zu verstehen, ob Mensch oder Technik Schuld am Desaster tragen.
Bevölkerungsentwicklung als begehbare Statistik
Das Zentrum von „Sleeping with the Gods“, bildet eine raumfüllende Installation, welche den gesamten hinteren Bereich des Ausstellungsraumes ein- und übernimmt (Bild ganz oben). Der Raum wird so zu einer dreidimensionalen, begehbaren Statistik. Um sie lesen zu können, muss man sich die gesamte Raumhöhe als Zeitachse von 1700 bis heute vorstellen. Der Boden repräsentiert also die Zeit vor rund 320 Jahren. Daraus erheben sich verschiedene, unterschiedlich hohe grasbewachsene Konen, die sich nach oben in der Zeitachse stetig verjüngen, bis sie zum Teil ihr Ende finden. In ihrer Mitte erhebt sich ein mächtiger, hochglanzpolierter Edelstahl-Konus, der sich umgekehrt proportional entwickelt, gleich einem statischen Wirbelsturm immer mehr an Volumen und Macht gewinnt. Er steht für die rasante Bevölkerungsentwicklung, die grasbewachsenen, endlichen Konen für die verschiedenen Tierarten, welche in der Zeit der grössten menschlichen Eingriffe in die Natur erst dezimiert und schliesslich ausgerottet wurden. Den verschiedenen Tierarten wird in Neonschrift sinnbildlich eine Gedenktafel gesetzt. Schriftgebend ist dabei die 91jährige Mutter des Künstlers, welche die Namen fein säuberlich vorgeschrieben hat.
Täglich (ausser Dienstag) 11h bis 18h oder nach Vereinbarung – Eintritt und Katalog sind kostenlos. Die Katalogpublikation erfolgt Anfang Juni 2022, da die Hauptinstallation erst zum Ausstellungsbeginn fertiggestellt wurde.