Carrie Mae Weems – The Evidence of Things Not Seen 

Kunstmuseum Basel | Gegenwart
26.10.2023 – 17.03.2024

Aïcha Revellat ist Kunsthistorikerin und Doktorandinbei eikones – Zentrum für die Theorie und Geschichte des Bildes in Basel.
Aïcha Revellat ist Kunsthistorikerin und Doktorandin bei eikones – Zentrum für die Theorie und Geschichte des Bildes in Basel.

Fotografieren heisst, Wahrnehmung zu rahmen. Im Betrachten von fotografischen Bildern stellt sich zudem die Frage, wessen Blick repräsentiert wird.

Von Aïcha Revellat

Carrie Mae Weems (*1953), eine der einflussreichsten US-amerikanischen Künstlerinnen, verhandelt Fragen in Bezug auf diese Blickbeziehung vor dem kulturellen und sozialen Hintergrund ihres Herkunftslandes und dessen Geschichte. Seit der Kitchen Table Series, die Weems in den 1990er- Jahren zu grosser Bekanntheit verhalf, ist die Künstlerin oft selbst Modell ihrer Fotografien.

Carrie Mae Weems, Untitled (Eating Lobster), 1990/99
Carrie Mae Weems, Untitled (Eating Lobster), 1990/99

Häuslich anmutende Szenen an einem von einer Hängelampe beleuchteten Holztisch zeigen sie, wie sie abwechselnd als Mutter, Tochter und Liebhaberin mit anderen Personen inter-
agiert. Weems’ Bilder dürfen aber nicht nur als Ausdruck feministischer Kritik an traditionellen weiblichen Rollenbildern verstanden werden. Sie zeigen auch eine Lücke auf, die die Künstlerin stets beschäftigt: BIPoC– Black, Indigenous, and other People of Color– werden historisch betrachtet in für gewöhnlich negativ aufgeladenen Kontexten bildwürdig. Dies führt dazu, dass sich nicht weisse Menschen mit den Kunstwerken nicht gleichermassen identifizieren können, weil sie sich selbst und ihre Erfahrungen nicht darin erkennen. In Museen in und ausserhalb den USA sind Schwarze Künstler:innen ausserdem unterrepräsentiert. So drängt sich in Weems’ Werken auch immer wieder die Frage nach der Rolle des Museums als öffentliche Institution auf: Welche Öffentlichkeit wird im Ausstellungsraum angesprochen? In der Serie Museums (2006 bis heute) besucht Weems Orte, an denen Kunst präsentiert wird, die das grösste Publikum erreicht: das Philadelphia Museum of Art, die Tate Modern in London, der Louvre in Paris. Sie bleibt jeweils vor dem Gebäude stehen, sodass die emblematischen Architekturen der Museumsgebäude auf den grossformatigen Schwarz-Weiss-Fotografien wie monumentale Bühnenbilder wirken, die eher bedrohlich als einladend wirken. Die dramatisch in Schwarz gehüllte Silhouette, von der wir nur die Rückenansicht sehen, steht wie ein Fremdkörper in der Landschaft und erinnert daran, dass die meinungsmachenden Institutionen nicht alle Körper gleichermassen aufnehmen. Ein weiterer Strang, der sich durch Weems’ Schaffen zieht, ist die Auseinandersetzung mit historischen
Fotografien. Für The Hampton Project rekontextualisierte Weems Aufnahmen der Fotografin Frances B. Johnston, die im Hampton Institute entstanden sind, der ersten Schule für die Schwarze und indigene Bevölkerung in den USA. Zeigen die Originalaufnahmen die nach weisser Mode zurechtgemachten Schüler:innen in gekünstelt
wirkenden Posen, wird in Weems’ Installation das gewaltvolle Ausmass der assimilationistischen Mission dieses Projekts betont. Mit der Geschichte von Aneignung, Verdrängung und der Ausweitung der Sklaverei in Nordamerika beschäftigte Weems sich für The Louisiana Project (2003), einer Serie, bestehend aus Foto- und Videoarbeiten. In der dazu gehörigen Serie Missing Link trägt sie Anzüge und Tiermasken, die im 19. Jahrhundert an der Mardi-Gras-Parade in Louisiana als animalistische Karikaturen der Schwarzen lokalen Bevölkerung die Überlegenheit der weissen Elite manifestieren sollten. Weems‘ eigene Identität und Hautfarbe bleiben dabei verborgen, die weissen Handschuhe maskieren auch das letzte Stück ihres Körpers. Im Kampf gegen Diskriminierung spielen kulturelle Teilhabe und Bildung eine zentrale Rolle. Weems vermittelt dies in Land of Broken Dreams: A Case Study (2021): Ein Wohnzimmer voller Devotionalien erinnert an den militanten Arm des Civil Rights Movement in den 1960er-Jahren. Damals bot ein Community-Projekt Kindern im segregierten Chicago neben kostenlosen Mahlzeiten auch kulturelle und akademische Alternativen zu den einseitigen Curricula. Gehen die Ausstellungsbesucher:innen der Einladung nach, auf den Möbeln Platz zu nehmen, denken sie dabei vielleicht auch über den Raum des Kunstmuseums nach, das als öffentliche Institution vom Kanton einen Bildungsauftrag hat.

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