Chagall in neuem Licht – Grosse Retrospektive
07.07. – 29.10.2006 | Museum Frieder Burda, Baden-Baden/D
Grosse Retrospektive mit 100 Hauptwerken im Museum Frieder Burda in Baden-Baden
Von Jean-Louis Prat*
Wenn die Welt der Träume und Wunder heute noch fortbesteht, so ist dies zu einem guten Teil Chagall zu verdanken. Seit dem Beginn seiner Laufbahn im frühen 20. Jahrhundert nimmt er einen einzigartigen Platz in der modernen Kunst ein: «Zweifellos hat nie jemand meine Augen derart mit Licht überflutet», schreibt der Dichter Louis Aragon. 100 Hauptwerke von Marc Chagall sind im Museum Frieder Burda ab dem 07. Juli bis zum 29. Oktober zu sehen. Sie werden von bedeutenden internationalen Museen für die Ausstellung als Leihgaben zur Verfügung gestellt: von der Tretjakow-Galerie in Moskau, dem Staatlichen Russischen Museum in
St. Petersburg, dem Centre Pompidou in Paris, den Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, dem Museo Thyssen-Borne
misza in Madrid, dem Musée de Grenoble, dem Musée de Saint-Etienne und von vielen namhaften Privatsammlungen aus der ganzen Welt.
Herausragende Arbeiten wurden exklusiv für Baden-Baden zusammengestellt, um in einem repräsentativen Querschnitt alle Schaffensperioden Chagalls zu beleuchten: die Phase vor und nach der Oktoberrevolution 1917 in Russland, nach 1922, als er seine Heimat Russland verlässt, um zunächst nach Berlin, dann nach Paris zu gehen, und schliesslich die Zeit bis zu seinem Lebensende, die er in Südfrankreich verbringt.
Das vom weltberühmten Architekten Richard Meier für den Sammler Frieder Burda erbaute Museum lässt die grossformatigen Gemälde der Ausstellung buchstäblich in einem neuen Licht erscheinen. Beim Durchschreiten der Raumfolgen, die immer wieder von reizvollen Ausblicken in die umgebende Parklandschaft durchbrochen werden, kann der aussergewöhnlich lange und fruchtbare Lebensweg Chagalls nachempfunden werden, von Vitebsk, wo er 1887 geboren wird, bis nach Saint-Paul in der Provence, wo er 1985 stirbt.
Dichter Louis Aragon ist nicht der einzige berühmte Schriftsteller, der die Besonderheit von Chagall erkennt. Blaise Cendrars, Guillaume Apollinaire, Paul Eluard, André Malraux – sie alle zeigten sich berührt von seinen Bildern. Darum werden auch kostbare Chagall-Editionen der Toten Seelen von Nikolai Gogol, der Fabeln von Jean de la Fontaine, der Bibel sowie des antiken Liebesromans «Daphnis und Chloe» in Baden-Baden präsentiert.
Das Werk des Grossmeisters der Moderne reflektiert die von Unglücken gezeichnete Kulturgeschichte Europas. Doch stellt er ihr eine universelle Bildsprache voller Grosszügigkeit und Freimütigkeit gegenüber. Dies gilt für die ersten Gemälde, die im russischen Heimatort Vitebsk entstanden, für die Schaffensperioden in Berlin, Paris und New York bis hin zu seinem südfranzösischen Spätwerk. Besonders deutlich wird diese Haltung an dem berühmten Ensemble von acht übergrossen Bildtafeln, geschaffen 1920 für das «Theatre Juif» in Moskau, die als äusserst seltene Leihgabe aus der Moskauer Tretjakow-Galerie nach Baden-Baden kommen. Darunter ein zentrales Bild mit den Massen drei auf acht Meter. Chagall verführt die Betrachter seiner Bilder in eine magische Welt voller Fabelgestalten. Sein poetisches Universum schliesst die Mythen der Bibel ebenso ein wie das quirlige Leben der Gaukler und Zirkusmenschen. Seine Farben erscheinen wie reines Licht, das ausstrahlt, um die Botschaft des Malers zu künden. Chagall bleibt der jüdisch-russischen Kultur seiner Herkunft stets treu. Gleichwohl entwickelt er einen neuen poetischen Kosmos, der in seiner märchenhaft erzählerischen Qualität in der neueren Kunstgeschichte unerreicht geblieben ist. Durch diese spirituelle Qualität vermittelt Marc Chagall eine Botschaft der Hoffnung und der Freiheit, die auch für uns Menschen des neuen Jahrtausends aktuell geblieben ist.
Jean-Louis Prat ist Kurator der Ausstellung Chagall. Er ist gleichzeitig Präsident des Komitees Chagall in Paris und war viele Jahre Direktor der Fondation Maeght in St-Paul de Vence.