Kandinsky, Marc & Der Blaue Reiter
04.09.2016 – 22.01.2017
Fondation Beyeler
Von Sibylle Meier
Die grosse Herbstausstellung der Fondation Beyeler widmet sich – zum ersten Mal seit 30 Jahren in der Schweiz – einem Künstlermanifest, dessen revolutionärer Inhalt bahnbrechend für die Entwicklung der modernen Kunst in Europa war: dem Blauen Reiter.
Der Blaue Reiter ist ein Almanach – eine Sammlung von Texten – der 1912 in München im Piper-Verlag erschien und von den beiden Malern Franz Marc (1880–1916) und Wassiliy Kandinsky (1866-1944) herausgegeben wurde. Das Buch folgte auf zwei Ausstellungen, die unter gleichem Namen 1911 und 1912 ebenfalls in München stattfanden. Zu den wichtigsten Mitgliedern des Blauen Reiter zählen Franz Marc, Wassiliy Kandinsky. Zum engen Kreis gehören Kandinskys Lebensgefährtin Gabriele Münter, das Paar Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin, August Macke, Paul Klee und Alfred Kubin.
Ziel des Blauen Reiter war es, mit den akademischen Traditionen zu brechen, um neue künstlerische Formen entwickeln zu können. Diese sollten nicht mehr vom Abbild der sichtbaren Wirklichkeit abhängig sein, vielmehr ging es darum, geistige Fragen in Farbe und Form zu transferieren. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Befreiung der Farbe von ihrer Aufgabe einen Gegenstand „realistisch“ abzubilden. „Vom Naturabmalen – mehr oder weniger impressionistisch – zum Fühlen eines Inhalts – zum Abstrahieren“ wie es Gabriele Münter so treffend formuliert hatte. So wie Münter ungemischte Farben zueinander setzte und ihre Motive auf einfache Formen herunterbrach, trug sie wesentlich zur Entwicklung zu einem neuen modernen Kunstverständnis bei.
Ulf Küster, der Kurator der Ausstellung, nimmt sein Publikum mit, auf einen spannenden Rundgang durch die Geschichte dieses revolutionären Buches. Die Ausstellung beschränkt sich auf den Zeitraum 1908 – 1914, wo der 1. Weltkrieg dieser Entwicklung ein jähes Ende bereitete. Über neun Sääle verteilt werden über 70 Werke und 90 Exponate rund um den Blauen Reiter gezeigt , veranschaulicht ihre Geschichte und dokumentiert, die von ihr entwickelte Abstraktion.
Im Zentrum der Schau stehen die Werke der beiden Gründer des Blauen Reiter, Franz Marc und Wassiliy Kandinsky, die sich erst 1911 kennenlernten. Beide suchten auf ganz unterschiedliche Art und Weise ihre geistige Haltung zum Ausdruck zu bringen. Während Kandinsky eine synästhetische Kunst anstrebte, die die Grenzen zu anderen Kunstformen überschreiten sollte, versuchte Marc über die Auseinandersetzung mit den unschuldigen Seelen von Tieren, an die Darstellung einer kosmisch unverfälschten Natur zu gelangen. Inspiration dazu fanden beide Künstler (zusammen mit Münter, Werefkin und Jawlensky) in der Landschaft um Murnau, einem Dorf in der Voralpenlandschaft von München.
Inhaltlicher Höhepunkt der Ausstellung bildet der Saal Nr. 7 der ganz dem Almanach und seinem Inhalt gewidmet ist. Der Name wurde am Kaffeetisch in der Marc’schen Gartenlaube in Sindelsdorf entwickelt: Beide Künstler liebten Blau, Kandinsky war begeistert von Reitern, Marc von Pferden „so kam der Name von selbst.“ Das Programm des Almanachs ist eine heterogene Zusammenstellung von hoher Kunst und Volkskunst – auch Kinderzeichnungen sind dabei –, von europäischen und internationalen Bildern, die zusammen einen „vielstimmigen Chor an Texten und Bildern aus unterschiedlichen Epochen“ bilden, wie Ulf Küster anmerkt. Kandinsky schwebte eine „Kette zur Vergangenheit und einen Strahl in die Zukunft“ vor, weswegen er sich auch den Namen „die Kette“ hätte vorstellen können. Ziel war eine internationale, hierarchielose Kunst, die nur durch ihre „innere Notwendigkeit“ – durch das Geistige in der Kunst –über alle Grenzen und Zeiten hinweg verbunden war. Kunst als eine einzige grosse Seelenverwandtschaft. Die Publikation diente Marc und Kandinsky auch als eine Art Legitimation für die, in ihren Werken entwickelte Wandlung von der Figuration zur Abstraktion.
Zwei Hauptwerke von Kandinsky und Marc wollen noch erwähnt sein. Zum einen Die grossen blauen Pferde (aus Minneapolis) die Marc 1911 gemalt hat. Mit diesem Bild „versöhnte Marc die Moderne mit der Zeit der Gegenwelt der Moderne“, wie Küster anmerkt. Befürworter wie Gegner der Moderne fanden in diesem Bild ihre Ruhe. Die Pferde scheinen im Einklang mit der sie umgebenden Natur zu sein. Der Farbtheoretiker Marc macht auch hier Gebrauch von der Wirkung des Komplementärkontrastes (blau – gelb und rot-grün) und erhöht so die Wirkung der einzelnen Farben. Die runden Bewegungen der Pferde gehen sanft in die hügelige Landschaft über. Die so rhythmisierte Bildkomposition strahlt trotz ihrer intensiven, lebendigen Farbigkeit eine innere Ruhe aus, die Marc in der unschuldigen Tierseele zu erkennen glaubte.
Ein ganz anderes Spiel mit Farbkontrasten betreibt Wassily Kandinsky mit seiner wohl grössten Komposition Nr. 7 (2 x 3 Meter) aus der Moskauer Tretjakow-Galerie von 1913. Kandinsky unterschied in seinen Bildern zwischen Komposition, Improvisation und Impression und schon dieser Sprachgebrauch deutet sein synästhetisches Bedürfnis an: mit Komposition kann sowohl ein Farbklang als auch ein musikalischer Klang gemeint sein. Die Komposition war die höchste Bildkategorie für Kandinsky denn sie vereinte Konzeption, Imagination und Intuition. In der Komposition Nr. 7 kommt diese Analogie zum Ausdruck. Erst durch die Interaktion des Werks mit seinem Betrachter entsteht (im Idealfall) ein Seh-Rhythmus, der in der Musik seine Entsprechung findet. Die Komposition Nr. 7 ist den Themen Sintflut und dem Jüngsten Gericht gewidmet und vermittelt eine Vorahnung auf den ersten Weltkrieg. Die Form des Werks ist „Ausdruck des inneren Inhaltes“ und das wichtigste ist, „ob die Form aus der inneren Notwendigkeit gewachsen ist oder nicht“, wie Kandinsky selbst schreibt. Nur noch Andeutungsweise finden wir Elemente von Landschaft und Tiefe, die Darstellung ist einem Spiel aus Farben und Formen gewichen, die sich ganz aus Kandinskys innerer Empfindung speist – die Abstraktion war geboren.