Jackson Pollock, Stenographic Figure, um 1942

Kuratorin Nina Zimmer über den figurativen Pollock

Der figurative Pollock
02.10.2016 – 22.01.2017
Kunstmuseum Basel , Neubau, 2. OG

Die grosse Sonderausstellung im Kunstmuseum Basel widmet sich weltweit zum ersten Mal einem noch weitgehend unbekannten Kapitel der Kunstgeschichte – dem figurativen Pollock. Die Kuratorin der Ausstellung, Nina Zimmer, im Interview.

Dr. Nina Zimmer, ehem. Vizedirektorin Kunstmuseum Basel
Dr. Nina Zimmer, ehem. Vizedirektorin Kunstmuseum Basel

Frau Zimmer, den meisten von uns ist Jackson Pollock als Ikone des abstrakten Expressionismus bekannt. Seine «Drippings» sind zum Mythos geworden. Sie haben sich für die Präsentation einer weitgehend unbekannten Seite Pollocks entschieden. Was fasziniert Sie an seinem figurativen Werk?
Nina Zimmer: In Pollocks figurativem Werk sehen wir, wie er sich mit ganz verschiedenen künstlerischen Traditionen und Bildsprachen auseinandersetzt: Seine Vorbilder reichen vom italienischen Barock bis zu den mexikanischen Muralisten und Vertretern der europäischen Moderne wie Picasso, Masson, Miró.
Pollocks abstrakte Bildsprache ist von diesen figurativen Traditionen zutiefst geprägt. Im figurativen Werk – dem Frühwerk, aber auch der Werkphase, die sich unmittelbar an die Drippings anschliesst und wieder figurativ ist – kann man seine künstlerische Herangehensweise und seinen künstlerischen Kosmos unmittelbar erfahren.

Pollocks Lehrer an der Arts Student League in New York, Thomas Hart Benton, war Muralist. Was hat Pollock bei ihm gelernt?
NZ: Benton hatte eine sehr eigene Lehrmethode, die auf einer strukturellen Analyse von Meisterwerken der Kunstgeschichte fusste. Diese Strukturdiagramme sind in sich schon sogenannte All-Over- Kompositionen: Es gibt kein Hauptmotiv, die gesamte Fläche wird gleich behandelt. Das Auge ist somit gezwungen, über das Bild zu wandern. Bei Thomas Hart Benton hat Pollock vor allem gelernt, eine Komposition insgesamt als Feld zu begreifen.

Pollock gilt als Meister der Linie, er war ein hervorragender Zeichner. Dank der Filme des Fotografen und Filmemachers Hans Namuth konnte viel über Pollocks Mal- und Zeichentechnik der «Drippings» in Erfahrung gebracht werden. Helfen diese Filme rückwirkend auch das figurative Werk Pollocks zu verstehen?
NZ: Der Kunsthistoriker Pepe Karmel hat dazu faszinierende Forschungen vorgestellt. Er konnte zeigen, dass Pollock auch vollkommen abstrakte Werke mit figurativen Zeichen beginnt – Zeichen aus dem Repertoire seiner figürlichen Werke und Zeichnungen. Hat man sich einmal mit diesen Werken auseinandergesetzt, kann man in fast jedem Werk Pollocks figurative Ansätze finden und sollte diese als Teil seiner künstlerischen Position verstehen.

Jackson Pollock, Number 21, 1951
Jackson Pollock, Number 21, 1951

Besonders fasziniert war Pollock von der europäischen Malerei, dem Impressionismus, Surrealismus und Kubismus. Die Auffassung, dass der Ursprung der Kunst im Unbewussten liege, hat Pollock sehr beschäftigt. Im Mai 1939 wurde Picassos gewaltiges Wandbild «Guernica» (1937) in New York gezeigt. Hatte dieses Bild Auswirkungen auf Pollocks Schaffen?
NZ: Die Begegnung mit Guernica war wie ein Donnerschlag für Pollock. Immer wieder hat er das zunächst in einer Galerie ausgestellte Gemälde besucht und unzählige Zeichnungen nach dem Bild angefertigt. Noch viele Jahre später finden sich immer wieder Spuren seiner Guernica-Rezeption in seinen Werken.

Pollock selbst hat davon gesprochen, dass «wenn man aus dem Unterbewussten heraus malt, zwangsläufig Figuren hervortreten müssen». Er sagte aber auch: «Abstrakte Malerei ist abstrakt.» Es scheint, dass ihm die Annäherung an die Abstraktion nur über die Figuration gelungen ist. Bedingen sich die beiden Pole Figuration und Abstraktion?
NZ: Ja, in Pollocks künstlerischer Auffassung unbedingt. Er sah beides als Pole, die sich gegenseitig unter Spannung setzen. Eine rein abstrakte Malerei barg für ihn die Gefahr des «Dekorativen», eine rein figurative die des Traditionalismus, des Gefangenseins in der Welt der Kunstgeschichte. Durch sein ambivalentes Spiel mit beiden Herangehensweisen ergab sich für ihn die Freiheit, das, was er als sein Unterbewusstes verstand, in Bildern auszudrücken.

Interview Sibylle Meier

Schreibe einen Kommentar