In ihrer Frühjahrsausstellung 2020 zeigt die Fondation Beyeler Ölbilder, Aquarelle und Zeichnungen von Edward Hopper (1882–1967), einem der bedeutendsten amerikanischen Maler des 20. Jahrhunderts. Erstmals ist Hoppers einzigartiger Zugang zum Thema Landschaft Schwerpunkt einer Ausstellung.
bis 26.07.2020
Edward Hoppers weltberühmte Gemälde sind Manifestationen eines unverwechselbaren Blicks auf das moderne Leben. Mit seinen eindrucksvollen Sujets, seiner markanten Bildsprache und seinem virtuosen Farbenspiel prägt der Maler bis heute das Bild Amerikas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Autos, Eisenbahnen, leere Strassen, abgelegene Leuchttürme und Häuser in unendlich weiten Landstrichen, aber auch die neuen Landschaften der modernen Grossstadt – diese Motive kennzeichnen Hoppers Werk. Der Maler brachte den Dingen der alltäglichen Lebenswelt eine hohe Aufmerksamkeit entgegen und verlieh ihnen eine bemerkenswerte bildliche Präsenz. Hoppers Gemälde sind keine naturalistischen Abbildungen, sondern stets Ausdruck seiner persönlichen Wahrnehmung der Welt. Am Beginn des Hopper’schen Malprozesses stand immer die Auswahl charakteristischer Motive. Er filterte das Gesehene und übertrug dessen Essenz auf die Leinwand. Vor allem dieser Subjektivität der Darstellung verdanken die Bilder ihre unnachahmliche Faszination.
So gab Hopper zum Beispiel in Stairway, einem kleinen Ölgemälde aus dem Jahr 1949, den gewöhnlichen Eingangsbereich eines Hauses scheinbar realitätsgetreu wieder. Die Szene ist inspiriert von seinem Elternhaus in Nyack. Indem er einen ungewöhnlichen, erhöhten Standpunkt auf einer Treppe wählte und in seiner Komposition durch die diagonale Ausrichtung des Treppenhandlaufs den Blick durch die offene Tür auf einen bedrohlichen, dunklen Wald lenkt, wird deutlich, dass es sich dabei um die Abbildung seiner persönlichen Wahrnehmung handelt. Die «richtigen» Motive zu finden, war für Edward Hopper nicht leicht, der Malprozess langwierig. Insgesamt umfasst das Werkverzeichnis nur 366 Ölgemälde.
Landschaft: Zivilisation und Natur
Die Natur verändert sich ständig. Sie ist, folgt man kunsttheoretischen Überlegungen, in ihrem unablässigen Wandel nicht bildlich zu fixieren. Landschaftsgemälde zeigen stets ein ausgewogenes, statisches Bild der Natur. Vor diesem Hintergrund wird der explizit moderne Ansatz von Hoppers Werken fassbar, der in dieser Ausstellung zum ersten Mal überhaupt hervorgehoben wird: Der Maler deutet die Möglichkeit eines Ausgreifens der Landschaft über den Bildrand an und bezieht dadurch die Idee der bewegten Natur in seine Kompositionen ein.
Eines der faszinierendsten Landschaftsgemälde, Cape Ann Granite (1928), ehemals Teil der renommierten Sammlung von David Rockefeller, ist der Fondation Beyeler als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt worden. Das grossartige Werk stand am Anfang des Vorhabens, Edward Hopper eine Ausstellung zu widmen und seine besondere Behandlung von Landschaft in den Mittelpunkt zu rücken. Das Bild zeigt ein abschüssiges, mit massiven Felsbrocken übersätes Gelände. Mit der Darstellung von Licht und Schatten auf Felsen griff Hopper ein Motiv wieder auf, mit dem er sich bereits zwischen 1912 und 1923 während diverser Sommeraufenthalte an den Küsten von Maine und Massachusetts intensiv befasst hatte. Eine Auswahl dieser selten ausgestellten Studien wird in der Fondation Beyeler zu sehen sein. Die Schatten verleihen der Landschaft in Cape Ann Granite eine dramatische, dynamische Anmutung. Aber auch die Aufmerksamkeit des Betrachters wird in Bewegung versetzt. Die Schatten und die Neigung des Geländes lenken den Blick nach rechts. Knapp vor dem rechten Bildrand entfaltet sich jedoch ein Tiefensog: Hinter dem Abhang und einigen Sträuchern öffnet sich der Bildraum und gibt die Sicht auf eine grenzenlose blaue Weite frei, in der Himmel und Meer nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.
Meist thematisieren Hoppers Landschaften Eingriffe des Menschen in die Natur. Motive wie Züge und Autos stehen exemplarisch für die zivilisatorische Erschliessung des ausgedehnten Landes. Auch Hoppers eigene Erfahrung als Reisender hat sich in den Landschaftsbildern niedergeschlagen, indem er mit Strichen, Unschärfen oder anderen kompositorischen Mitteln die Bewegung des Wahrnehmenden und das Vorbeiziehen der Landschaft vor dem Zug- oder Autofenster erfasst hat. Es sind aber oftmals auch leere Strassen oder, wie im ikonischen Ölgemälde Railroad Sunset (1929), unbefahrene Eisenbahnschienen, die den Eindruck von der unermesslichen Weite der Landschaft in Hoppers Bildern bestimmen. Allen Landschaftsdarstellungen hat Hopper einen geometrischen Bildaufbau zugrunde gelegt. Besondere Bedeutung kommt dabei der Betonung der Horizontalen zu: Bildparallel verlaufende Strukturen wie Eisenbahnschienen, Strassen, aber auch die wogenden Hügelketten und der scheinbar grenzenlose Himmel weisen auf die Ausdehnung der Landschaft über den Bildrand hinaus hin.
Die Andeutung eines weiten Raumes ausserhalb der Bildgrenzen ist ein charakteristisches Merkmal von Hoppers Landschaftsmalerei und trägt oftmals massgeblich zu deren melancholischer, unheimlicher und bedrohlicher Grundstimmung bei. Die verlassene Landstrasse in Gas (1940), einem seiner bekanntesten Bilder, wird links von einem dunklen Wald gesäumt, rechts befindet sich eine Tankstelle, an der ein Tankwart an einer der Zapfsäulen hantiert. Die diagonale Staffelung der leuchtend roten Benzinsäulen entfaltet einen perspektivischen Sog in die Tiefe des Bildes. Er bündelt sich dort, wo die Strasse, auf eine ungewisse Zukunft anspielend, im undurchdringlichen Wald verschwindet. Tankstelle und Tankwart scheinen wie von der Zivilisation abgeschnitten. Seine Spannung bezieht das Bild nicht zuletzt aus dem Gegensatz zwischen dem natürlichen Licht der Abenddämmerung und der künstlichen Beleuchtung der Tankstelle. Die Situation erinnert an eine Filmszene, in der gerade etwas Gefährliches geschehen ist oder gleich geschehen wird. Viele Filmschaffende wie Alfred Hitchcock, Wes Anderson oder Wim Wenders haben sich von diesem spannungsgeladenen Moment in Hoppers Gemälden, der Darstellung eines Zustands in der Schwebe zwischen zwei Ereignissen, inspirieren lassen.
In Cape Cod Morning (1950) wird die unheilvolle Spannung durch ein weiteres, für Hoppers Gemälde typisches Bildmittel erzeugt: Eine in einem Erker eines Hauses stehende Frau ist – wie viele Figuren in Hoppers Bildern – auf etwas fokussiert, das für die Betrachtenden nicht sichtbar ist. Sie wird durch die Architektur des Hauses physisch völlig von der sie umgebenden Natur abgeschirmt. Ihren aufmerksamen Blick richtet die Frau auf einen Punkt oder ein Geschehen ausserhalb des Bildraums. Ihre Körperhaltung lässt eine nahende Bedrohung erahnen.
Die Edward Hopper-Ausstellung der Fondation Beyeler präsentiert zahlreiche bedeutende Meisterwerke, die für gewöhnlich nur in namhaften Museen und Privatsammlungen in den USA zu bewundern sind. Unter den mehr als 60 Ölgemälden, Aquarellen und Zeichnungen zum Thema Landschaft sind sowohl weltberühmte Bilder als auch grossartige Neuentdeckungen vertreten. Die Ausstellung umfasst Werke aus sechs Jahrzehnten und gewährt damit einen umfänglichen und spannenden Einblick in den Facettenreichtum der Hopper’schen Malerei. Organisiert wird die Ausstellung von der Fondation Beyeler in Kooperation mit dem Whitney Museum of American Art, New York, in dessen Beständen sich die weltweit grösste Hopper-Sammlung befindet.
Als weiteres Highlight wird in einem Ausstellungsraum der 3D-Kurzfilm Two or Three Things I Know about Edward Hopper des renommierten Regisseurs und Fotografen Wim Wenders gezeigt. Für diesen Kurzfilm liess Wenders sich von der Bildästhetik des von ihm hochgeschätzten Hopper inspirieren, wobei er auf poetische Weise anschaulich macht, wie viel das Kino dem grossen amerikanischen Maler verdankt, wie sehr aber auch Hopper vom Kino beeinflusst wurde. ◀