Eva Aeppli – Die Schenkung Christoph Aeppli
19.09.2008 – 01.02.2009 | Museum Tinguely Basel
Von Andres Pardey*
Das Museum Tinguely präsentiert in diesem Herbst die grösste Schenkung, die seit der Eröffnung des Museums vor zwölf Jahren Eingang in die Sammlung finden durfte: Die Schenkung von Christoph Aeppli umfasst sämtliche Bronzeköpfe von Eva Aeppli, dazu kommen noch zwei Gemälde und eine kleine Nana von Niki de Saint Phalle und ein bedeutendes frühes Relief von Jean Tinguely. Zeichnungen, Briefe und Archivalien ergänzen und erweitern die Schenkung und die Sammlung des Museums Tinguely, das nun auch über wichtige Werke der beiden Ehefrauen von Jean Tinguely verfügt.
Christoph Aeppli, der Bruder der Künstlerin, wuchs mit ihr in Basel auf. Später – er war ein erfolgreicher Grafiker – unterstützte er seine Schwester bei ihren vielen Engagements. Gleichzeitig erkannte er früh die Bedeutung ihrer Bronzeköpfe und erwarb (bis auf eine Ausnahme kaufte er die Köpfe seiner Schwester) sie mit dem Ziel einer vollständigen Sammlung. Bis heute sind es 43 Bronzeköpfe, die nun allesamt in der Sammlung des Museum Tinguely vereint sind. Sie sind (vorläufiger) Abschluss des Werks von Eva Aeppli, das im Wesentlichen in vier Gruppen aufzuteilen ist: die Zeichnungen, die Gemälde, die Figuren und die Köpfe. Gewiss gibt es Berührungen und Überschneidungen zwischen diesen Werkteilen, aber eigentlich folgen sie aufeinander und bauen jeweils auf dem früheren auf.
Die Zeichnungen, in den Fünfzigerjahren in Paris entstanden, im Impasse Ronsin, wo Eva Aeppli seit 1955 mit Jean Tinguely lebte, sind meist mit Kohle oder Bleistift auf Papier ausgeführte Menschendarstellungen. Bilder einzelner Gestalten, dürr, trostlos, traurig. Um Einsamkeit geht es, um Verlorenheit, Verlassenheit. Die Figuren entblättern sich wie eine Blume, oder sie sind einfach nur da, alleine. Trost scheint es in dieser Bildwelt keinen zu geben und auch keine Rettung. Zu Beginn der Sechzigerjahre, die Künstlerin hat sich von Jean Tinguely getrennt und lebt fortan mit Sam Mercer, beginnt der zweite Teil des Werks von Eva Aeppli: die Gemälde. Es sind grossformatige Bilder von Totenkopfflüssen, lustige Totenschädel und ganz bedrückend düstere. Der Schädel wird, zusammen mit den fast immer mit dargestellten Skeletthänden, zum Zeichen, Symbol, dutzendfach wiederholt, vermitteln die Schädel in ihrer dichten Anordnung auf der Leinwand ein Gefühl der Gemeinsamkeit (und der Gemeinschaft), das den Gestalten früherer Zeichnungen vollständig abgeht.
Der Schritt in die dritte Dimension scheint in der künstlerischen Entwicklung von Eva Aeppli nachgerade logisch und ist doch überraschend. Sie, die in den Vierziger- und Fünfzigerjahren ihre Familie mit kleinen Stoffpuppen ernährt hatte (und in dieser Zeit auch erste, viel eher als künstlerische Skulpturen denn als kunsthandwerkliche Spielpuppen zu bezeichnende Porträts und Selbstporträts schuf), hatte gewiss die handwerklichen Fähigkeiten. Dass sie aber diesen Schritt zur Schöpfung der Stofffiguren wagte, zeugt von nichts Anderem als von vollständiger Unabhängigkeit und einer beeindruckenden schöpferischen Kraft. Eva Aeppli wurde (soweit sie es nicht sowieso schon war) zur Exotin, zur künstlerischen Aussenseiterin, zum Mythos. Die einzelnen Figuren, die von ausdrucksstarken Köpfen und langen, fast skelettartigen Händen geprägt sind, und deren Körper meist unter langen wallenden Gewändern verschwinden, führen Themata der früheren Werkteile fort: Traurigkeit, Einsamkeit, Tod.
In den späten Siebzigerjahren verschwinden die Körper, und die Hände verschenkt die Künstlerin. Es entstehen die Köpfe, zunächst fein in Seide genäht, dann ab 1990 gegossen, in Bronze und patiniert, ja sogar vergoldet. Es sind nun, nebst Einzelköpfen wie La Petite Marie oder L’Autre Côté, Zyklen, die Menschlichen Schwächen, die Planeten, die Sternzeichen, die Astrologischen Aspekte. Das Übermenschliche findet Form in diesen Köpfen, die wohl als «Charakterköpfe» in jeder Beziehung zu bezeichnen sind. Jede Portraithaftigkeit geht ihnen ab, sie sind nicht so sehr Abbild eines menschlichen als vielmehr eines astrologischen Seins. Eva Aeppli, gibt den Planeten und den Sternzeichen ebenso kräftige Charaktere und Wesenszüge, wie sie die menschlichen Schwächen zu beschreiben vermag. Da möchte man sich nicht wirklich wiedererkennen …
Die Astrologie, für Eva Aepplis Werk seit den Siebzigerjahren die wichtigste Anregung, steht im Zentrum der Köpfe. Als erste Serie entstehen ab 1990 die zehn Bronzeköpfe der Planeten, die auf Stoffvorlagen von 1974 zurückgehen. Die lebensgrossen Planetenfiguren waren 1976 im französischen Pavillon auf der Biennale in Venedig und im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris ausgestellt. Nach diesen Ausstellungen zerstört die Künstlerin die Körper der Figuren, sie verschenkt die Hände an Freunde, erhalten bleiben nur die Köpfe der zehn Planeten. Diese werden 1990 in Bronze gegossen und vergoldet, neun in Gelb- und einer – der Mond – in Weissgold. In der Folge konzentriert sich Eva Aeppli ausschliesslich auf die Köpfe, die zum Träger der ganzen Aussagekraft ihrer Skulpturen werden. Es entstehen 1977 die Köpfe dreier Erinnyen, ab 1977 neun Astrologische Aspekte und 1979 die zwölf Sternzeichen. 1993 schliesslich schafft die Künstlerin mit den sieben Menschlichen Schwächen eine letzte Serie. Die Bronzegüsse folgen teilweise erst Jahre nach der Kreation der Köpfe in Stoff, der letzte Kopf, der gegossen wird, ist der ganz spezielle der Petite Marie, der 2004 nach einem Stoffkopf des Jahres 1990 in einer Kleinauflage von fünf Stück entsteht.
Eva Aeppli hat mit den Bronzeköpfen ein Werk geschaffen, das in seiner Unmittelbarkeit überrascht. Die Verbildlichung von Charakteren und Gemütslagen in Gesichtszügen spricht direkt und wirkt sofort. Der Betrachtung der Köpfe liegt die menschliche Erfahrung des Lesens von Gesichtern zugrunde, Physiognomie und Mimik sind Schlüssel zum Verständnis der Bronzeköpfe von Eva Aeppli.
*Andres Pardey ist Vizedirektor des Museum Tinguely und Kurator der Ausstellung