Kunstmuseum Basel
20.10.2018 – 10.02.2019
Von Sibylle Meier
Wer mit Malerei grosse Geschichten erzählen will, steht vor der Herausforderung, dem Betrachter oder der Betrachterin auf einen Blick klar zu machen, wovon hier die Rede ist. Die Möglichkeit, mit Worten eine Situation zu beschreiben, fällt weg, und was an Mitteln übrig bleibt sind Körperhaltung, Gesten oder Blicke – oft übertrieben und überspitzt – denn es bleibt nur wenig Raum für emotionalen Ausdruck: Weit aufgerissene Augen, ein hilflos-ohnmächtig drapierter Körper oder ein dramatisch ausgestreckter Zeigefinger. In der Kunstgeschichte heissen solche Gesten Pathosformeln – jeder kennt sie irgendwie – denn sie stehen für die typisierte Darstellung eines Gefühls und nicht für dessen individuelle Interpretation.
Keiner kennt sich besser aus mit der Verbildlichung von dramatischen und extrem spannungsgeladenen Emotionen wie der Schweizer Maler und Theologe Johann Heinrich Füssli (1741–1825). Die aktuelle Herbstausstellung im Kunstmuseum Basel trägt den Titel Füssli. Drama und Theater, denn die Ausstellung legt den Fokus auf die theatralen, dramaturgischen Stilmittel, mit denen es Füssli gelingt, literarische Stoffe in emotional stark aufgeladene Bilder umzuwandeln: präzise Lichtführung, die Konzentration auf einen dramatischen Aspekt, grosse Gesten und ganz wichtig: die Wiederholung. Denn Wiederholung erzeugt Dramatik, und das ist sein erklärtes Ziel: Füssli will das Publikum mit seinen Bildern umhauen.
„The Wild Swiss“ als malender Geschichtenerzähler
Inspiration zu seinen Bildmotiven findet der nach England ausgewanderte Schweizer in griechischer und mittelalterlicher Mythologie, aber vor allem in den Dramen von Shakespeare und John Milton. Dichtung und Malerei sind für Füssli zwei gleichwertige Künste, und er hat deshalb sein ganzes Leben der Illustration von grossen literarische Stoffen gewidmet. Es ist also die Liebe zu grossen Geschichten, die den „Wild Swiss“, wie er von den Engländern genannt wurde, dazu motivieren, heilig erhabene Gefühle oder deren Gegenteil, den tiefen Abgrund menschlicher Regungen, auf die Leinwand zu bannen. An der Epochenschwelle zur Romantik interessiert sich der leidenschaftliche Literat und Theaterbesucher für Geister, Helden, Feen und Satan; für die Abgründe der Seele und deren dunkle Geheimnisse. Er entwickelt sich zum malenden Geschichtenerzähler, denn es gelingt ihm wie kaum einem anderen, Literatur so dramatisch zu verdichten und auf einen Höhepunkt hin zuzuspitzen. Füssli – der „Shakespeare der Leinwand“.
Vielen ist Füssli durch die Darstellung seines Skandalgemäldes „der Nachtmahr“ bekannt. Das Kunstmuseum Basel zeigt nur eine der drei bekannten Versionen, jene aus der Privatsammlung von Ulla Dreyfus-Best. Die Schau konzentriert sich in fast siebzig Werken vor allem auf die Umsetzung literarischer Quellen und ist – Füssli-gerecht – auf den maximalen Effekt hin aufgebaut. Eva Reifert, die Kuratorin der Ausstellung, beginnt den Parcours mit Motiven aus der Antike und führt uns über das Mittelalter hin zu den grossen Stoffen von Shakespeare und Milton. Ein sehr gut gemachtes Saalblatt steuert dabei das Publikum sicher durch die unzähligen literarischen Quellen, die den Gemälden zugrunde liegen.
Thom Luz führt Füssli ins 21. Jahrhundert
In der Hälfte der Ausstellung erwartet die Besuchenden eine Überraschung: eine zeitgenössische Auseinandersetzung mit den Pathosformeln, die Füsslis Werk prägen. Das Kunstmuseum Basel konnte den Hausregisseur des Basler Theater Thom Luz gewinnen, ein Werk zum Thema Drama und Theater zu entwickeln, worauf eine faszinierende Videoarbeit entstanden ist (Videokünstler: Jonas Alsleben). Zusammen mit 15 Schauspielern aus dem Ensemble des Theater Basel hat Luz dreissig typische Figurenposen aus Füsslis Oeuvre ausgesucht und in geisterhaften Projektionen – als bewegte Tableaus – auf die Wand geworfen. Es ist das Unheimliche, das Luz an Füsslis Werk fasziniert. Die aufgehängten Fotografien der leeren Museumsräume erfahren eine interessante Kontextverschiebung und werden zur Theaterbühne. Die Tableaus sind auf Augenhöhe angebracht und versetzen das Museumspublikum in die Rolle des Theaterbesuchers. Auf dieser Fotobühne entspinnen sich nun geisterhafte Szenen, die manchmal heilig erhaben, aber auch durchaus humorvoll die grossen Gesten Füsslis nachspielen. Es ist ein grosser Spass, die typischen Gesten auszumachen und den Bildern Füsslis zuzuordnen.
Eine seiner Lieblingsszenen, verrät Thom Luz, ist das Bild Oberon träufelt Blumensaft in die Augen der schlafenden Titania von 1793 aus dem Sommernachtstraum von Shakespeare. Es ist ein Liebessaft, den Titania beim Aufwachen dazu veranlassen wird sich in den Esel Zettel zu verlieben. Und schon sind wir wieder mittendrin in der Welt Füsslis, der fliessend griechisch und lateinisch sprechen konnte und sämtliche literarischen Klassiker im Original gelesen hatte.
Aber wer jetzt erst einmal all die grossen Dramen der Welt verdauen muss, der setzt sich am besten ins Bistro des Kunstmuseums Basel und gönnt sich beim gepflegten, hauseigenen Ueli Shakesbeer eine wohlverdiente Pause.