Globale Perspektiven

Andreas Gursky
20.10.2007 – 24.02.2008 | Kunstmuseum Basel

Von Nina Zimmer* und Seraina Werthemann**

Der 1955 in Leipzig geborene und in Düsseldorf lebende Andreas Gursky gilt als einer der weltweit wichtigsten zeitgenössischen Fotografen. Seine charakteristischen Ausdrucksmittel sind neben der dezidiert verwendeten Farbfotografie das Mega-Grossformat und die umfangreich eingesetzte digitale Bildbearbeitung.

Andreas Gursky, Chicago Mercantile Exchange, 1997 @ Pro Litteris
Andreas Gursky, Chicago Mercantile Exchange, 1997 @ Pro Litteris
Nur wenigen Künstlern gelang es, das Spezifische einer Kultur, das Lebensgefühl einer Generation oder den Zeitgeist einer Epoche in nur einem Werk zu verdichten. So, wie unser Bild der Renaissance von einigen wenigen Gemälden geprägt ist, hat der Fotograf Andreas Gursky mit Arbeiten wie Kuwait Stock Exchange (Abb. S. 27) ein wesentliches Bild der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Situation des ausgehenden 20. Jahrhunderts gezeichnet.
Das Hauptaugenmerk von Gursky liegt auf der Ansammlung von Menschen und den Stätten ihrer Zusammenkunft, auf den Strukturen der globalisierten Welt, sowohl der Produktion, des Handels und des Konsums als auch der Freizeitgesellschaft. «Gurskys Welt der Neunziger ist gross, high-tech, schnell, teuer und global. In ihr ist das anonyme Individuum nur eines unter vielen», schrieb Peter Galassi. Gursky selbst betont stets, seine Bilder stünden für viele andere und seien für den Zeitgeist repräsentativ: «Ich will meine Motive so aussehen lassen, als könnte ich sie überall aufgenommen haben. Die Orte sollen nicht spezifisch beschrieben werden, sondern eher wie Metaphern funktionieren. Es geht mir um globale Perspektiven, um heutige Sozialutopien.»
Mit Pyongyang (Abb. S. 24), einer seiner neuen Werkgruppen, erweitert Gursky diesen beschriebenen Themenbereich. Dabei öffnet er seinen Blick auf Nordkorea, das zu den letzten definitiv nicht globalisierten Ländern der Welt zählt. Zudem handelt es sich nicht um einen alltäglichen Schauplatz: diese Bilder könnten derzeit nirgendwo ausser in Nordkorea entstanden sein. Jedes Jahr wird zur Feier des Geburtstages des verstorbenen Diktators Kim Il Sung das Arirang-Festival abgehalten mit einer Eröffnungszeremonie in einem Stadion, bei welcher bis zu 70 000 Akteure mitwirken. Auf dem Stadionfeld treten gymnastische Tänzer, musizierendes Militär und Kindergruppen auf, während auf den Rängen dahinter bis zu 30 000 Oberschüler postiert sind. Mit abwechselnd hochgehaltenen Farbtafeln stellen sie riesige Bilder dar, wobei der einzelne Schüler mit seiner Farbtafel eine ähnliche Funktion einnimmt wie ein Farbpixel auf einem Bildschirm. Die Menschenmenge wird zum Medium.
Gursky bezieht keine Stellung zum politischen Hintergrund der Aufführung und nutzt das Bildmaterial als visuellen Rohstoff, der nach seinen typischen Bildkonzepten und Gestaltungsschemen umgearbeitet wird. Neben der Serie des nordkoreanischen Massenspektakels entstanden in jüngster Zeit zunehmend auch weitere Werkgruppen, was als Neuentwicklung im Vergleich zu den bisherigen Einzelwerken verstanden werden kann. Diese neuen Zyklen beschäftigen sich thematisch sehr breit sowohl mit Landschaften als auch mit gotischen Kirchenfenstern oder Formel-1-Rennen (Abb. S. 28, 29). So unterschiedlich diese Themen auch sind, weisen die Arbeiten doch deutliche Gestaltungsmerkmale auf, die eine gemeinsame ästhetische Sprache sprechen, welche auch in vorangegangenen Werkphasen beobachtbar ist. Bei der Wahl des Bildausschnittes oder beim Arrangement seiner digital zusammengefügten Bildelemente interessiert sich Gursky für die Frage, wie er auf der Bildfläche ornamentale Strukturen erzeugen kann, genauer: Durch welche gestalterischen Mittel er das beobachtete Ausgangsmotiv in eine symmetrische Ordnung überführen kann. Dies erfordert eine abstrakte Sichtweise auf das Motiv, welches damit nicht nur in seiner abbildenden Funktion wahrgenommen wird, sondern wie eine Art Baukasten Formvokabeln bereit hält, aus denen Gurksy sein Bild am Ende zusammen setzen wird. Dadurch, dass Gursky eine Struktur dem in der Wirklichkeit beobachteten Motiv überordnet und sie somit gleichsam verabsolutiert, gelingt es ihm, seinen Bildern eine Allgemeingültigkeit einzuschreiben. Seine Kompositionen reichen deshalb über die Dokumentationen einer beschriebenen Situation weit hinaus und erlauben als Symbolformen weiter reichende Schlüsse über unsere Gegenwart.
Häufig dient dem Künstler zu diesem Zweck der Blick von einem erhöhten Standpunkt aus, wie beispielsweise jener auf die Inselgruppen der James Bond Islands oder die Menschenmassen in Pyongyang. Es ergibt sich dadurch ein Überblick über eine geordnete Gesamtstruktur, welcher das einzelne Element untergeordnet ist. Bei so unterschiedlichen Details wie den filigranen Figurationen der gotischen Kirchenfenster oder bei den Flugnummern und -destinationen einer Anzeigetafel des Frankfurter Flughafens funktioniert dies durchaus ähnlich: Die Einzelelemente werden innerhalb derjenigen organisatorischen, politischen und ästhetischen Strukturen zusammengefasst, denen sie ihre Entstehung verdanken. Ihre Platzierung im Bild macht die Logik ihrer Gestaltung sichtbar. Dies ist auch bei den Pyong-
yang-Bildern der Fall, wo die ideologisch aufgeladene Inszenierung der Menschenmenge als eine einzige ornamentale Struktur unmittelbar sichtbar wird, auch wenn sie sich beim Nähertreten schliesslich wieder in individualisierte Einzelfiguren auflöst.
Das Kunstmuseum Basel stellt in konzentrierter Form neue Werke des Künstlers vor, von denen die meisten erst 2007 entstanden sind und zum Teil erstmals ausgestellt werden. Gezeigt werden neue Motive innerhalb des vertrauten Themenspektrums der letzten Jahre, wie ein Börsenparkett in Kuwait oder die aufwendige Innendekora-tion eines Frankfurter Clubs.

* Nina Zimmer ist Co-Kuratorin der Ausstellung,
** Seraina Werthemann ist wiss. Assistentin am Kunstmuseum Basel

Zur Ausstellung erscheint im Verlag Hatje Cantz ein umfangreich illustrierter Katalog mit Textbeiträgen von Bernhard Mendes Bürgi, Beate Söntgen und Nina Zimmer.

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