Jérôme Zonder, La métamorphose, 2013 (links), Jeu d’enfant # 1, 2011 (rechts)

Jérôme Zonder – The Dancing Room

Jérôme Zonder
The Dancing Room
07.06.2017 – 01.11.2017
Museum Tinguely

Roland Wetzel, Direktor Museum Tinguely
Roland Wetzel, Direktor Museum Tinguely

Von Roland Wetzel

Jérôme Zonder (*1974 in Paris) gehört zu den herausragenden Zeichnern seiner Generation. Im Museum Tinguely realisiert er eine Einzelausstellung, die sich mit rund 40 Zeichnungen, einem grossformatigen Wandbild und einer skulpturalen Konstruktion zu einer Rauminstallation zusammenfügt. Mit seinen grotesken Bildfindungen, die sich an Hieronymus Bosch, Paul McCarthy oder Otto Dix orientieren, findet er einen Ausdruck für das Unsagbare menschlicher Abgründe und humanitärer Katastrophen der letzten 100 Jahre, die er zu zeitgenössischen Danses Macabres verarbeitet. Mit dieser Präsentation beginnt das Museum Tinguely eine Ausstellungsreihe junger KünstlerInnen, die einen Bezug zum Totentanz-Motiv schaffen, sich mit dessen anhaltender Aktualität auseinandersetzt und den alle Sinne ansprechenden Mengele-Totentanz (1986) Tinguelys reflektiert.

Ihre Dringlichkeit entfalten Zonders Zeichnungen in als
jeux d’enfants getarnten Hinrichtungsszenen – grotesken, albtraumhaften Collagen in der Manier von Otto Dix oder George Grosz – die uns zunächst vertraute Situationen wie das heimische Kinderzimmer anführen, nur um den Betrachter mit Szenerien der Gewalt umso heftiger zu konfrontieren. Oder wie im Falle der Bildserie Les chairs grises (2013) auf Grundlage jener furchtbaren Bilder aus den Konzentrationslagern der Nazis, bei welcher die dokumentarischen Fotografien des Gräuels nicht bloss technisch reproduziert, sondern mittels einer Spur von Fingerabdrücken gestaltet und nachvollzogen sind, um im Medium des Zeichnens das Nichtbegreifen-Können zu thematisieren. Zonders hybride Bildwelten schöpfen aus einem Repertoire, welches das Individuelle mit dem Kollektiven zusammenführt. Er durchmischt diese Elemente in einem offenen schöpferischen Akt, der sich als Wechselspiel von Intuition, Orientierung am Gegenstand der Recherche, Art und Weise der Darstellung und deren Entwicklung konstituiert. Dieses «Rezept», das dem Künstler ermöglicht, in die Bilder einzudringen, sie zu subjektivieren und eigene Bild-Erzählungen weiterzuentwickeln, hat seinen gedanklichen Kern in der andauernden Auseinandersetzung mit der Frage, was Bilder heute vermögen. Für einen Künstler wie Zonder, der in seinem Denken Kulturpessimismus und Humanität verbindet, der über Krieg und Gewalt, Antisemitismus, die Zerstörung der Menschlichkeit oder die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft reflektiert, ist das Groteske als Stilmittel ein Verfahren, um die Widersprüche unserer Tage abzubilden. In seinen «zellulären» Bildern zeichnen sich Lachen und Morbidität, Sagbares und Unsagbares, Grauen und Komik, Lächerlichkeit und Bedrohung, Zierlichkeit und Monstrosität in ungekannter, polygrafischer Akzentuierung ab.

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