Leben unter den Halbmond – Die Wohnkulturen der arabischen Welt
23.02.2008 – 31.08.2008 | Vitra Design Museum, Weil am Rhein/D
„In der Kasbah von Algier ist alles vorhanden: alle Elemente einer Architektur, die unendlich sensibel für die menschlichen Bedürfnisse und Wünsche ist.»
Mit diesem Ausspruch beschrieb Le Corbusier seine grosse Begeisterung für die Architektur des Orients. Wie er werden auch heute noch viele Architekten und Designer von der arabischen Welt inspiriert. Gleichwohl beschränkt sich unser Wissen über diese Länder, bedingt durch die aktuelle politische Situation, zumeist auf die täglichen Nachrichten aus Politik und Gesellschaft. Mythos und Realität der arabischen Welt untersucht nun das Vitra Design Museum in seiner Ausstellung «Leben unter dem Halbmond», die einen umfassenden Überblick über die faszinierenden arabischen Wohnkulturen gibt.
Die Ausstellung zeigt, wie unterschiedlich man zwischen Marokko, Syrien und der arabischen Halbinsel wohnt – von den Nomadenzelten der Tuareg und der Beduinen über marokkanische Kasbahs, prächtige Hofhäuser in Städten wie Marrakech, Damaskus oder Kairo bis hin zu Gebäuden des 20. Jahrhunderts von Architekten wie Hassan Fathy, Elie Mouyal oder Abdelwahed El-Wakil und Boomregionen wie Dubai. Zahlreiche Modelle und begehbare Räume lassen den Besucher die unterschiedlichen Bauten erleben, während Gebrauchsobjekte wie Keramiken, Textilien, Werkzeuge und Architekturelemente die Wohn- und Lebensgewohnheiten veranschaulichen. Der aufwendige Raumparcours vermittelt auch die raffinierte und sinnliche Seite des Wohnens in den arabischen Ländern. Für die Ausstellung wurden zahlreiche Fotos und Filme von bislang kaum bekannten Wohnformen neu produziert.
Mit den Interieurs der Privathäuser öffnet «Leben unter dem Halbmond» dem Besucher eine bislang kaum bekannte Sphäre der arabischen Welt, denn diese wird hier seit je streng vor Fremden geschützt. Da uns kein Bereich des Alltags so vertraut ist wie unser Wohnumfeld, ermöglicht es die Ausstellung dem Besucher, sich vergleichend ein eigenes Bild des Lebens in der arabischen Welt zu machen. Dabei wird deutlich, dass die Herausforderungen des Designs stets die gleichen sind: Welche Lösungen erfordern die Abläufe des privaten Alltags – Schlafen, Essen, Wohnen, Hausarbeit? In welchem Verhältnis zueinander stehen Dekoration, Form und Funktion von Bauten und Gegenständen? Inwiefern sind Ornamente, Symbole und Farben auch heute noch Ausdruck kultureller Identität?
Im Umgang mit diesen Anforderungen offenbart das reiche Erbe der arabischen Wohnkulturen eine oftmals verblüffende Modernität, sei es in den reduzierten Grundformen vieler Objekte, in der multifunktionalen Nutzung von Räumen und Dingen oder in Systemen zur Klimatisierung oder zur Steuerung des Wasserverbrauchs. Architekten, wie der Ägypter Hassan Fathy und der Marokkaner Elie Mouyal, haben sich viele dieser Lösungen in ihren Bauten zunutze gemacht und mit Elementen der modernen Architektur verbunden. Wesentlich vorangetrieben wurde der Einfluss der Moderne durch Architekten wie Jean-Francois Zévaco, Edmond Brion, Wolfgang Ewerth, Michel Ecochard, Yona Friedman, Frei Otto und anderen. Sie nutzten ab den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts die arabischen Länder als wichtiges Experimentierfeld und entwickelten hier den Internationalen Stil weiter. Welche Bedeutung die arabische Welt mittlerweile für die internationale Architektur hat, zeigen Villenprojekte auf der arabischen Halbinsel von Arata Isozaki oder Studio 65, aber auch das Institut du Monde Arabe in Paris von Jean Nouvel.
Die Ausstellung «Leben unter dem Halbmond» zeigt aber auch die Schattenseiten einer radikalen Modernisierung der arabischen Architektur wie den Verfall ganzer Altstadtviertel, die Landflucht und uniforme Trabantenstädte. Viele der traditionellen Wohnformen, die die Ausstellung vorstellt, konnten für «Leben unter dem Halbmond» vielleicht ein letztes Mal dokumentiert werden. Organisationen wie der Aga Khan Trust for Culture setzen sich dafür ein, dass sich die heutigen Architekten mit diesen Problemen auseinandersetzen. Für eine sinnvolle und nachhaltige Modernisierung ihrer Architektur und ihrer Wohnfomen verfügen die arabischen Länder, so zeigt die Ausstellung «Leben unter dem Halbmond», über ein grosses Repertoire an Lösungen innerhalb ihrer eigenen Traditionen. Und was wir vom Orient noch lernen können: Die oberste Tugend jedes privaten Haushalts ist und bleibt die Gastfreundschaft.