Lynette Yiadom–Boakye
A Passion To A Principle
bis 12.02.2017
Kunsthalle Basel
Die Ausstellung ist angefüllt mit Figuren, die einen direkt, ja fast schon herausfordernd anblicken. Andere stehen, die Arme in die Hüften gestemmt, und wenden den Blick ab, oder sie ruhen nachdenklich blickend in der weichen Umarmung eines Sofas oder einer Hängematte. Wieder andere halten extravagante Vögel (eine Eule auf einem, einen Pfau auf einem anderen Gemälde), so als ob dies ebenso selbstverständlich wäre wie das Halten einer Zeitung, oder sie breiten ihre Gliedmassen mit der Körperspannung durchtrainierter Tänzerinnen und Tänzer aus. Sie sind alle schön, ohne dabei wie Models zu wirken, ernst ohne streng zu scheinen, und gut angezogen, ohne dass es zu bemüht aussieht. Es gibt nur wenige Anhaltspunkte, die auf die Zeit oder den Ort schliessen lassen, an denen sie stehen, liegen, lehnen oder sitzen. Sie wirken, abgesehen von ihrem blossen Dasein, kontextlos. Diesem Dasein wohnt eine Lässigkeit, eine Finesse, eine besonnene Intelligenz inne. Aber auch eine Intensität, eine Tiefe und eine innere Glaubwürdigkeit (jemand, der sie in sich trägt, würde sich zurücklehnend uns so anblicken), die sie vertraut erscheinen lassen. Und was man noch nicht über sie zu «wissen» glaubt, versucht man, herauf zu beschwören. Lynette Yiadom-Boakyes Bilder kann man wohl kaum betrachten, ohne sich zu fragen, wer die Leute auf den Bildern sind, was sie tun, wen sie lieben, was sie denken, was sie begehren. Und doch ist die Ausstellung nicht nur über Porträts an sich. A Passion To A Principle enthält nur figurative Darstellungen, aber keines porträtiert einen wirklichen Menschen, weder eine historische noch eine zeitgenössische Figur. Und das ist wichtig. In den Händen Yiadom-Boakyes hat die Farbe eine strukturelle Bedeutung, ihre Pinselstriche sind von lebhaftem Drang.
Die Reflexion über Malerei als Medium bestimmt ihre Arbeit, Fiktion aber ist der andere, wichtige Antrieb für ihr Schaffen. Sie malt ihr Figurenensemble nach nebelhaften Erinnerungen und verschiedenen Quellen; borgt sich hier einen Pullover aus einem Schaufenster und da eine Pose aus einem Nudistenmagazin. Mit Farbe und Pinsel schreibt sie ihre Charaktere wie eine Romanautorin es tun würde. Die Qualität dieses «Schreibens» verhindert, dass ihre Figuren stereotyp erscheinen oder als eindimensionale Fantasiegestalten daherkommen. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass die in London geborene Künstlerin ghanaischer Abstammung neben ihrer Arbeit als Malerin auch als Dichterin und Schriftstellerin tätig ist, selbst wenn das traditionellste Medium der Kunstgeschichte, die Malerei, die von ihr favorisierte Methode für ihre Schilderungen ist.
Yiadom-Boakye hat an der Royal Academy of Arts in London Malerei studiert – einer der Bastionen dieses Mediums. Ihre tatsächliche Ausbildung jedoch fand sie in den Museen, wo Edgar Degas, Édouard Manet, Walter Sickert und andere ihre Lehrer waren. Kaum eine Technik, zum Beispiel wie man Farben übereinanderlegt oder was die Sparsamkeit der Mittel anbe
langt (Warum vier Pinselstriche, wenn einer reicht?), die sie nicht von ihnen lernte. In der Begegnung mit diesen Malern entwickelte sie ihren eigenen Stil, zwar der Vergangenheit verpflichtet, aber doch in völliger Eigenregie.
Ihre Gemälde sind zu gleichen Teilen dunkel und leuchtend, gemalt mit sichtbaren Pinselstrichen, die ihren Figuren auch dort eine lebhafte Präsenz verleihen, wo sie im trüben Dunkel stehen und wo die Malerin absichtlich einige Stellen unfertig erscheinen lässt. In der Anwendung traditioneller Kompositionsformen der Porträtmalerei wie Bruststück im Dreiviertelprofil, Kopfbild und Gruppenporträt haben die Bilder etwas ungeniert Klassisches a
n sich und gleichzeitig bedient sich Yiadom-Boakye modernistischer Bildausschnitte wie bei den Fingerspitzen der Tänzerin auf Tell The Air oder dem angeschnitten Fuss bei A Focus For The Cavalry. Hier und da blitzt die nackte Leinwand durch und manchmal ist Yiadom-Boakyes Malerei so frei und absichtlich unvollkommen, dass sie wie die passende Entsprechung für die tiefe Menschlichkeit wirken, die ihre (nichtsdestotrotz unrealistischen) Figuren auszeichnet – denn was ist menschlicher, wenn nicht der Makel? Dies legen auch ihre von ebenso beiläufiger wie enigmatischer Poesie gefärbten Titel nahe (Daydreaming Of Devils, Sermons For Heathens, To Hell For Leather On A Hound): sie spielen an auf Versuchung, Verdammnis und Missachtung. Auch wo die Titel wie in A Culmination oder Militant Pressures in eine andere Richtung weisen, scheinen sie wie eine weitere Schicht zu wirken, wie eine farbige Untermalung in einem tiefen Zinnoberrot, die alles darüber Gemalte durchdringt und das Ganze unweigerlich aber subtil mit einer Stimmung oder einer spezifischen Note einfärbt.
Ursprünglich wollte Yiadom-Boakye Optikerin werden. Aber Wissenschaft bereitete Probleme, wie sie gesteht, und so wurde sie zu einer anderen Art Beobachterin visueller Wahrnehmung. Ihre Figuren mögen sich zwar in einem Niemandsland von Zeit und Ort befinden, doch es gibt wenige figürliche Malerinnen und Maler, die ihre Gegenwart so schlagend diagnostizieren wie sie. A Passion To A Principle, Yiadom-Boakyes erste Schweizer Einzelausstellung mit ausschliesslich neuen Arbeiten benutzt also eine der ältesten und verehrtesten Gattungen der Kunstgeschichte, die Malerei, um Porträts anderer Art zu machen. Bei denen der eigentliche Gegenstand das Medium Malerei ist, aber eben auch wir selbst – im Hier und Jetzt – als Wesen in der Welt. Dies geschieht, paradoxerweise sehr kraftvoll, durch ihre spezielle Verwendung von Fiktion. Ein Kritiker, der sich über die Literatur James Baldwins ausliess, fragte: «Wie lernen Menschen, über sich Bescheid zu wissen? Einmal, indem sie schöne Literatur lesen. Das für das Lesen eines Romans unabdingbare Einfühlungsvermögen, welches den Leser dazu zwingt, seine Skepsis aufzugeben und in die Haut eines Fremden zu schlüpfen, regt dazu an, über sich nachzudenken und sich Fragen zu stellen.» Ähnliches fordert Yiadom-Boakye auch von uns.
Und könnte es einen dringlicheren Moment als jetzt geben, dazu angespornt zu sein? Yiadom-Boakyes Malereien machen es deutlich: Unsere Museen, unsere Kunstgeschichte, nicht anders als unsere wie auch immer gearteten Machtstrukturen, sind angefüllt mit Repräsentationen mit und von Weissen. Darstellungen schwarzer Menschen von schwarzen Künstlerinnen und Künstlern sind erstaunlich gering. Yiadom-Boakyes Abbildungen stellen demnach eine Formvon sozialem Porträt dar, das einen grossen Teil der Bevölkerung, eine Realität wiedergibt, die bislang kaum in der Kunstgeschichte oder in der Politik berücksichtigt worden ist. Wenn die Künstlerin nun (fiktive) schwarze Figuren in den Kanon, in den Diskurs, in unsere Ausstellungsräume einbringt, ist dies auf stille Weise subversiv; es ist kein kämpferisches Eintreten für eine Sache, sondern hier wird schwarzes Leben einfach sichtbar gemacht – es wird buchstäblich materiell, und zeigt so, dass es zählt. Dies geschieht stets mit Anmut. Yiadom-Boakye hätte ihre Figuren anders darstellen können, etwa mit der Last der Geschichte auf ihren Schultern.
Doch sie erklärt: «Sie sind erkennbar menschlich, aber sie sind nicht real. Sie teilen weder unsere Ängste noch unsere Leiden. Noch müssen sie feierlich sein. Sie existieren nur als Gemälde und das macht sie allmächtig. Die Malerei gibt ihnen Macht.»
Lynette Yiadom-Boakye wurde 1977 in London geboren; sie lebt und arbeitet in London.
Text: Ausstellungstext der Kunsthalle Basel