Jean Tinguely, Méta-Harmonie II (Detail), 1979

Musikmaschinen / Maschinenmusik

Musikmaschinen / Maschinenmusik
19.10.2016 – 22.01.2017
Museum Tinguely

von Sandra Beate Reimann*

Jean Tinguelys Skulpturen haben stets eine akustische Dimension, die vom Künstler als Teil der Werke bewusst komponiert und austariert wurde. Sie erzeugen Geräusche, Klänge und scheinbar zufällig sich vollziehende Musik. Einen Höhepunkt erreichte diese musikalische Seite mit den vier Méta-Harmonien zwischen 1978 bis 1985. Die Ausstellung bietet die einmalige Gelegenheit, diese grossformatigen und vielfältigen Klangskulpturen, die in Karuizawa (Japan), Wien und Basel zu Hause sind, zum ersten Mal überhaupt im Dialog miteinander zu erleben. Sie bilden die Bühne für ein umfassendes und vielseitiges Veranstaltungs- und Konzertprogramm, das sich den Themen Musikmaschinen und Maschinenmusik widmet.

Tinguelys Méta-Harmonien
Es scheppert, rattert, knirscht, quietscht, klappert und zuweilen ist eine Tonfolge zu hören. Die vier Maschinen, die Tinguely Méta-Harmonie nannte, bieten ein chaotisches, klingendes Getöse, das alles andere als komponiert erscheint. Die von den Maschinen produzierten Klänge sind von der allgemeinen Vorstellung von Harmonie weit entfernt. «Meine Apparate machen keine Musik, meine Apparate benützen Töne, ich spiele mit den Tönen, ich baue manchmal Ton-Mischmaschinen, die mischen Töne, ich lasse die Töne gehen, ich gebe ihnen Freiheit.» Damit verdeutlichte der Künstler nicht nur, dass die Klänge der Maschinen der alltäglichen Vorstellung von harmonischer Musik widersprechen. Er unterstrich zugleich, dass es ihm nicht darum gehe, Neue Musik zu machen, vielmehr wird der Ton von seinen Maschinen benutzt: Ton wird zum Material seiner Kunst.

1978 baute Tinguely seine erste Méta-Harmonie, die er auf der Hammer-Ausstellung (1978) in Basel präsentierte. Sie ist auch die «melodischste» und enthält viele verschiedene Musikinstrumente. Darunter sind gut sichtbar und prominent präsentiert ein Konzertflügelfragment, eine Geige mit Bogen, eine Handharmonika und auch eine Triola, geblasen von einer Blasebalgluftpumpe. Zahlreiche Schlaginstrumente wurden darüber hinaus eingebaut. Diverse Gegenstände aus Haushalt und Industrie – vom Teekessel über eine Klingel bis hin zu einem Klöpperboden – dienen ebenfalls als Klangkörper. Angetrieben durch Motoren und vermittelt über die für
Tinguely typischen grossen Räder fallen Schlegel und Metallstangen wiederholt auf die verschiedenen Instrumente. Als Dirigent dieses bunten Ensembles fungiert der kontrollierte Zufall, ein Ergebnis der Mechanik der Konstruktion. Zum chaotischen Tönen der eigentlichen Klangkörper kommen schliesslich noch das Brummen der Motoren sowie das Quietschen der metallenen Gelenkstellen der Maschine selbst hinzu. Ein Akkordeon spielender Gartenzwerg dreht sich als einziges rein visuelles Element im Kreis.

Jean Tinguely, Méta-Harmonie, 1978
Jean Tinguely, Méta-Harmonie, 1978

Die Räder und Instrumente befestigte Tinguely in hochrecht-
eckigen Eisenrahmengestellen. Die Gerüste wurden jeweils an zwei Seiten mit Rollen versehen, sodass die einzelnen Teile gekippt und mehr oder weniger einfach transportiert werden konnten. Dies geschah sogleich und die Méta-Harmonie reiste noch im selben Jahr nach Duisburg. Für seine Ausstellung 1979 im Städel in Frankfurt am Main musste der viel beschäftigte Künstler schon eine zweite Méta-Harmonie bauen: Die erste war bereits an das bekannte Kunstsammlerehepaar Peter und Irene Ludwig verkauft worden und war nun in Wien zu sehen und zu hören. Die neu entstandene Méta-Harmonie II ähnelt ihrer Vorgängerin stark und enthält etliche gleiche Elemente: ein Klavier, eine Melodica und vor allem viele Schlaginstrumente. Sie ist aber deutlich dichter bestückt und dadurch auch unübersichtlicher. Teilweise sind die Bewegungsverläufe zwischen den einzelnen Segmenten miteinander verzahnt. Dennoch bleiben die drei Teile und der triptychonartige Aufbau deutlich erkennbar. Tinguely notierte: «Die zweite Meta Harmonie […] war die schon recht Meta-organisierte Ton-Mischmaschine.»

Beim Erleben dieser Werke ist das Ohr immer schneller als das Auge. Dies ist ein Effekt, der sich mit zunehmender Komplexität, Grösse und Dichte der Maschinen verstärkt: Wir hören einen lauten Klang, vielleicht sogar einen Knall, wir können die Richtung orten, aber es fällt auf die Schnelle oft schwer, genau zu entdecken und zu identifizieren, welches der vielen Objekte das Geräusch hervorgerufen hat. Im Moment, in dem wir unseren Blick dem Klang zuwenden, ruht der Schlegel bereits wieder. Mit etwas Glück sieht man vielleicht noch ein Becken schwingen. Versucht man sich ein Detail der Maschine genauer anzuschauen, so wird man von den unvorhersehbaren, lauten Geräuschen überrascht und der Blick wird beständig in eine andere Richtung abgelenkt.

Fünf Jahre später griff Tinguely anlässlich eines «Katze-im-Sack-Auftrages» der Tokioter Warenhauskette Seibu das Thema wieder auf. Es entsteht Pandämonium No. 1 – Méta-Harmonie 3. Neben zahlreichen Trommeln, Becken, den obligatorischen Kuhglocken und vielen anderen Schlaginstrumenten enthält Pandämonium auch zwei Tierschädel, die zähneknirschend zum morbiden Charakter des Werks beitragen. Im
Pandämonium, dem Aufenthaltsort der Dämonen, macht sich die zeitgleiche Beschäftigung mit dem Tod und dem Inferno (so der Titel einer Skulptur aus dieser Zeit) bemerkbar. Es ist aber immer eine heitere Beschäftigung mit dem Düsteren. Eine «Verburleskierung» des Todes, wie Tinguely schrieb. Das «Pan-Dämonium» ist für ihn «überall teuflisch permanent der Alltag [,] der langsame & prima organisierte Welt Unter Gang» und die Méta-Harmonie 3 ein «musikalischer Irrgarten». Pandämonium ist eine Überfülle nicht nur an akustischen, sondern auch an primär visuell zu erfahrenden Objekten: Sie reichen von bunten Lichtern über eine Figur von Pippi Langstrumpf bis hin zu einer Eule mit beweglichen Flügeln. Als Gruss aus der Schweizer Heimat des Künstlers wurden eine Zierkuhglocke vom Grossen Sankt Bernhard sowie eine originale Basler Trommel eingefügt. Tinguelys dritte «Ton-Mischmaschine» ist nicht nur detailreicher, sondern auch ungeordneter: Sie greift in verschiedene Richtungen des Raums aus, Räder und andere Komponenten wurden diagonal verbaut. Die Maschine hat daher keinen flächigen Abschluss mehr. Das Metallgerüst ist nur noch funktionale Stütze im Hintergrund, stellt aber keine visuelle Rahmung oder räumliche Begrenzung mehr dar, vielmehr quillt eine barocke Überfülle über diese hinaus. Auch die Rückansicht ist nun der Vorderseite fast ebenbürtig.

Ähnlich wie die dritte ist auch die vierte und grösste Méta-Harmonie mit dem Titel Fatamorgana vor allem eine perkussive Méta-Harmonie. Mit vielen grossen, farbigen Rädern bestückt, steht zumindest visuell die Mechanik weitaus stärker im Fokus. «Die vierte Fatamorgana (von Sepi benannte) ist farbig-saftig-tonlich stöhnender-visuellgewaltiger – Aber sound-mässig softer». Gebaut haben Tinguely und sein Assistent Josef Imhof (Sepi) das Werk in einer stillgelegten Industriehalle in Olten, wo viele der ausgedienten Holzgussmodelle der Firma Von Roll AG lagerten. Dort sicherte er sich vor allem die grossen Modelle für dieses gewaltige Räderwerk. Entsprechend ist die Méta-Harmonie IV auch langsamer, behäbiger und klanglich dumpfer. Sie lässt uns den Maschinenklang eines riesigen Maschinenkolosses hören.

Sind die Méta-Harmonien vom Ende der 1970er-Jahre in erster Linie Maschinen mit und aus Musikinstrumenten, so macht schon die Betitelung der Werke aus den 1980er-Jahren, in denen das Wort Méta-Harmonie zum erläuternden Zusatz wird, deutlich, dass es Tinguely zunehmend um ein visuell-akustisches Gesamtspektakel geht, in dem sich die beiden Aspekte, das Visuelle und das Akustische, und auch die Bewegung in einer Spannung befinden. «Hier», kommentierte Tinguely die Fatamorgana, «ist es eine Frage von Gleichgewicht zwischen Farbe und Ton. Farbe ist insofern wichtig, als sie schon eine Spannung hat gegenüber der Bewegung. […] Es ist für mich klar, dass die Koexistenz derartiger Bewegungen mit diesen Farben und diesen Tönen eine Spannung erzeugt, die nicht unbedingt sich in harmonischen Beziehungen befindet.»

Eliza Coolidge, Bianca Hildenbrand, Timothy Severo, Things You Do Seldom, 2016, Soundinstallation/Performance
Eliza Coolidge, Bianca Hildenbrand, Timothy Severo, Things You Do Seldom, 2016, Soundinstallation/Performance

Events mit Musikmaschinen und Maschinenmusik
Während der Ausstellungsdauer bilden die Méta-Harmonien auch den Rahmen für zeitlich begrenzte Auftritte von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die mit der akustischen Dimension experimentieren. Kleine Elektromotoren und Schweissdrähte sind die Elemente, aus denen der Berner Künstler Zimoun Arbeiten realisiert, die den Raum mit rhythmisch-vibrierenden Geräuschen erfüllen. Resultat der multimedialen Installation und Performance Things You Do Seldom von Eliza Coolidge, Bianca Hildenbrand und Timothy Severo aus New York ist eine interaktive Musikmaschine mit hundert verschiedenen Geräuschen. Sie basiert auf einem Stück des Komponisten Jürg Frey. Die hundert Tonaufnahmen dafür wurden mithilfe von aus Alltagsmaterialien gebauten Klangskulpturen generiert. Bei der Installation Unusual Weather Phenomena Project von Thom Luz wird die Musik durch Zufall und Gasballons bestimmt. Wie Musikautomaten aus dem frühen 20. Jahrhundert klingen und funktionieren, zeigen Orchestrione aus dem Museum für Musikautomaten in Seewen. Im Rahmen des umfangreichen Konzertprogramms werden unter anderem Studierende der Musik-Akademie Basel/Hochschule für Musik, das Ensemble Phoenix Basel, die New Yorker Jazz-Combo Barry Altschul 3dom Factor und der Perkussionist Julian Sartorius auftreten (eine Zusammenarbeit mit the bird’s eye jazz club).

Darüber hinaus bieten wir ein vielfältiges, interaktives Programm mit Familiensonntagen und Workshops für junge Besucher, in denen sie Beatboxing lernen sowie Musikinstrumente und -maschinen bauen können. Als besondere Attraktion wird bei schönem Wetter mehrmals Tinguelys Klamauk fahren.

Eine aktuelle Übersicht mit den genauen Programmpunkten und Zeiten finden Sie auf: www.tinguely.ch

*Sandra Beate Reimann ist Kuratorin am Museum Tinguely, Basel.
Die Ausstellung wurde kuratiert von Annja Müller-Alsbach, Konservatorin am Museum Tinguely, und Sandra Beate Reimann.

 

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