Jasper Johns – An Allegory of Painting, 1955-1965
02.06.2007 – 09.09.2007 | Kunstmuseum Basel
Das Kunstmuseum Basel zeigt das Frühwerk des Amerikaners anhand von wichtigen Leihgaben aus des USA und Europa
Dieses vielverzweigte Bezugsfeld entsteht zwischen der signalartigen Zielscheibe, der Präsenz von mechanischen Hilfsmitteln zur Bildherstellung (so einer drehbaren Holzleiste, die zirkelartig kreisrunde Konturen zieht, aber auch zum gleichmässigen Verstreichen von Farbe eingesetzt wird), der Nennung und Verwendung der Grundfarben Rot, Gelb, Blau sowie des eigenen Körperabdrucks oder -abbildes. Auftakt bilden 1955 die konzentrischen Kreise einer Zielscheibe, die sowohl Figuratives als auch Abstraktes ansprechen, aber jede Zuordnung meiden. Dabei reflektiert Johns weniger, wie später die Pop-Art, die endlos reproduzierbare Wirklichkeit der Massenkultur, sondern lotet vielmehr auf bildhafte Weise den Akt und die Bedingungen der Malerei aus, die auch zeichnerisch und druckgrafisch weiterentwickelt werden. Dies thematisiert Johns auf eine neuartige Weise, die grosse Skepsis und intuitives Geschehenlassen vereint. Diese Dualität bildet denn auch ein zentrales Spannungsmoment von Johns’ Schaffen des ersten Jahrzehnts, das bei aller Direktheit doch nichts preisgibt und oft unergründlich bleibt.
Erstmals wird die zentrale Bedeutung des prozesshaften Weiterentwickelns von unterschiedlichen Themenbereichen in der Kunst von Jasper Johns deutlich und auf unmittelbare Weise nachvollziehbar. Die von der National Gallery of Art, Washington organisierte Ausstellung präsentiert rund siebzig zentrale Leihgaben von Museen und Privatsammlungen aus den USA und Europa.
Die Situationistische Internationale (1957-1972)
Die Situationistische Internationale (1957-1972) – In girum imus nocte et consumimur igni
04.04.2007 – 05.08.2007 | Museum Tinguely
Von Stefan Zweifel*
Die Ausstellung führt vor Augen, dass die Situationisten nicht nur Vorläufer von Fluxus, Arte povera und Punk waren, sondern mit ihren architektonischen Utopien, Comic-Collagen, politischen Flyern und Aktionen im Mai 68 eine eigene Ästhetik schufen – auch wenn ihr eigentliches Ziel die «Überwindung der Kunst» war. Denn ob Pop-Art oder Jean-Luc Godard, Dada oder Le Corbusier, Surrealismus oder Brigitte Bardot: Die Situationisten warfen ihnen allen vor, sich auf der Kunstbörse zu verkaufen, und liessen dabei auch die ironische Ausflucht à la Warhol nicht gelten. Kein Wunder also: Wo immer man heute junge Künstler trifft, trifft man auf ihre Sehnsucht nach diesem letzten Resonanzkörper der Radikalität.
Die Situationisten wollten nicht Kunstwerke, sondern neue Situa-tionen schaffen, mitten in der Gesellschaft Verwirrung stiften und aus den Städten «psychogeografische Drehscheiben» machen. So gesehen war ihr grösstes Kunstwerk: der Pariser Mai 68. Sie hatten ihn von langer Hand geplant und als Okkupations-Komitee der Sorbonne geleitet. Nach dem Scheitern der 68er Revolte löste sich die Bewegung 1972 auf und verschwand aus dem öffentlichen Bewusstsein.
Dennoch wurde ihr Denken 1968 und während der Jugendunruhen 1980 auch in der Schweiz politische Realität und inspiriert bis heute u.a. die Globalisierungsgegner im Kampf gegen «Die Gesellschaft des Spektakels». Dass die Situationistische Internationale im Vergleich zu Dada und Surrealismus weitgehend unbekannt geblieben ist, mehr Gerücht als Gewissheit, hängt mit der masslosen Melancholie ihres Anführers Guy Debord zusammen.
Und so führen kein Rausch und kein Weg mehr zurück in jene Jahre der reinen Negation zwischen Zigarettenkippen und Rotweinflecken im Pariser «Saint-Ghetto-des-Prés» – ausser vielleicht Debords letzter Film von 1978 mit dem lateinischen Titel, der rück- und vorwärts-buchstabiert gleich lautet und die Koordinaten von Raum und Zeit wie von Wunderhand wegzaubert: IN GIRUM IMUS NOCTE / ET CONSUMIMUR IGNI.
«In Kreisen schweifen wir durch die Nacht und verzehren uns im
Feuer.»
*Stefan Zweifel ist Autor und Mitherausgeber des Ausstellungskatalogs
Brice Marden – Werke auf Papier
Brice Marden – Werke auf Papier
24.03.2007 – 29.07.2007 | Kunstmuseum Basel
Im Zentrum der Ausstellung stehen die Entwürfe Mardens für das Basler Münsterscheibenprojekt.
Von Christian Müller*
Die 2004 erfolgte Schenkung der Münsterscheibenentwürfe und deren feierliche Übergabe an das Kupferstichkabinett machten erneut auf die Bedeutung dieser Arbeiten aufmerksam, und es entstand der Wunsch nach einer Ausstellung sämtlicher Werke Mardens, die sich im Basler Kupferstichkabinett befinden. Die Entscheidung im Jahr 2005, die Etchings to Rexroth zu erwerben, war von dem Auftrieb durch jenen Eigentümerwechsel mitgetragen, lassen sich die Werke doch als Fortsetzung von Gedanken begreifen, welche in den Scheibenentwürfen bereits anklingen und für den Künstler ein neues Terrain eröffnet haben.
Im Zentrum der Ausstellung stehen folglich die Entwürfe Mardens für das Münsterscheibenprojekt. Ausgehend von seinen Zeichnungen und Radierungen mit Gitterstruktur legte Marden 1980 zunächst nahezu monochrome, rein lineare Entwürfe vor. 1983 vollzog er dann den Schritt zur Farbigkeit und rückte sie in die Nähe der Malerei. Er liess in seinen Vorschlägen von 1983/85 hinter der Wand des Chores eine imaginäre, farbige Glaswand in Erscheinung treten, welche durch die Fenster und das Masswerk hindurch sichtbar wird. Farben und Motive verbinden die Fenster sowohl vertikal als auch horizontal. Marden folgte der Expertenkommission, die vorgeschlagen hatte, unten die Schöpfung, in der Zone der Empore die gefallene Schöpfung und menschliche Hybris und in den Lanzettfenstern den neuen Himmel, das neue Jerusalem darzustellen. Er setzte diese Inhalte jedoch in sehr abstrakter Form um, nämlich alleine durch das Zusammenwirken von Farbfeldern und Farbstreifen mit dem Masswerk der Fenster. Durch die orthogonalen Verbleiungslinien und Windstangen der Fenster werden die Tiefe suggerierenden Farbräume an die tatsächlichen Fensterflächen gebunden.
Angeregt von Übereinstimmungen, die er zwischen dem Inhalt der Gedichte, die er in englischer Übersetzung las, und den chinesischen Schriftzeichen entdeckte, zeichnete und malte er Glyphen, die an chinesische Schrift erinnern. Er setzte sie zunächst isoliert übereinander und verband sie dann schrittweise vertikal und horizontal. In sieben Probedrucken zum ersten Blatt der druckgrafischen Folge Cold Mountain lässt sich die Arbeitsweise Mardens schrittweise verfolgen. Während in den finalen Zuständen der druckgrafischen Blätter aber die früheren Arbeitsschritte unsichtbar sind und nur in den Probedrucken überliefert werden, bleiben sie in den Gemälden mit ihren dünnen und transparent wirkenden Malschichten partiell sichtbar: Die Motive treten aus der Atmosphäre des Bildraumes an die Oberfläche oder scheinen in diese wieder einzutauchen. Assoziationen an transparente, sich im Raum bewegende Gewandfiguren, die nur mit ihren linearen Umrissen in Erscheinung treten, finden sich in den radierten Folgen After Botticelli und Han Shan Exit aus den Jahren 1992/93.
*Christian Müller ist Leiter des Kupferstichkabinetts des Kunstmuseums Basel
Edvard Munch – ein radikaler Neuerer
Edvard Munch – Zeichen der Moderne
18.03.2007 – 15.07.2007 | Fondation Beyeler
Die erste Sonderausstellung im Jubiläumsjahr widmet die Fondation Beyeler dem norwegischen Maler und Grafiker Edvard Munch (1863–1944). Im Mittelpunkt der gross angelegten Retrospektive steht die Bedeutung des Künstlers als Vorläufer und Begründer des Expressionismus, dessen Werk einen unentbehrlichen und eigenwilligen Beitrag zur Moderne darstellt.
Von Dieter Buchhart*
Kein Gemälde hat in Norwegen so viel Ärgernis erregt. – Als ich am Eröffnungstag den Saal betrat, in dem es hing, standen die Menschen dicht gedrängt vor dem Bild – man hörte Geschrei und Gelächter», beschrieb Munch später den Sturm der Entrüstung, der ihm bei der Präsentation des Gemäldes Das kranke Kind im Jahr 1886 entgegenschlug. Heute gelten Werke wie Das kranke Kind und das im gleichen Jahr geschaffene Selbstporträt als Ikonen der Moderne. Sie bilden auch als Signum einer radikalen Modernität den Ausgangspunkt der Ausstellung «Edvard Munch – Zeichen der Moderne». Unfreiwillig anerkannten Kunstkritiker bereits früh mit vernichtenden Bildbesprechungen und Vorwürfen wie «roh ausgeführt» oder «halbfertige Entwürfe» Munchs Vorreiterrolle und künstlerische Visionen.
Munchs Auseinandersetzung mit der Einsamkeit, der Liebe und dem Tod war unvergleichlich eindringlich. Er bezeichnete die Krise, die Vergänglichkeit und das Verschwinden des Individuums im Zeitalter der Industrialisierung. Seine Thematisierung der tiefsten menschlichen Gefühle und Grunderfahrungen ist schonungslos und treffend. Sein Werk, das von existentiellen Krisen und Brüchen begleitet wurde, ist zugleich von höchster Konsequenz bestimmt. Munch überschritt die konventionellen Grenzen zwischen künstlerischen Medien wie jene der Druckgrafik, Zeichnung, Fotografie, Collage und Malerei. Mit Werden und Vergehen, Zerstörung und Schöpfung setzte sich der Künstler auseinander in der Auflösung und Verschmelzung von Figuren mit dem Hintergrund, ihrer eigenwilligen Überschneidung des Bildrandes, dem Kratzen in die Farboberfläche bis hin zu seiner sogenannten «Rosskur», dem Aussetzen vieler Werke im Freien bei Regen und Schnee. Dabei experimentierte Munch im Sinne des Fragmentarischen ununterbrochen mit Material und Motiv und operierte dabei mit Kategorien einer neuartigen Kombinatorik und Einbeziehung von Brüchen. Experiment und Zufall sind integraler Teil von Munchs künstlerischem Konzept. Sein Umgang mit dem Material und die Betonung des Prozessualen seiner Arbeiten im Sinne des tatsächlichen Verschwindens von Materie weist ihn über seine Generation hinaus als Vorreiter aus. Mit der «Rosskur» integriert Munch nicht nur den Zufall, sondern auch den natürlichen Zerfall als Werkkomponente in seinen Schaffensprozess. In seinem Spätwerk erklärt er das Prozesshafte und das Temporäre als tatsächlich physisches Verschwinden von Materie zum allgemeinen Ausdruck von Vergänglichkeit seiner materialbasierten Modernität. Munchs Interesse an der Unmittelbarkeit und Experimentalität des Farbauftrags und sein unkonventioneller Umgang mit Motiv und Material öffnete bereits zur Jahrhundertwende einen Ausblick ins 20. Jahrhundert, denn erst Mitte der Vierzigerjahre widersetzten sich Künstler wie Jean Fautrier, Jean Dubuffet, Emil Schumacher oder Jackson Pollock dem traditionellen Verhältnis von Malerei und Form in einer Munch vergleichbaren Radikalität.
Mit mehr als 130 Gemälden und 80 Grafiken ist die Schau «Edvard Munch – Zeichen der Moderne» die wohl umfangreichste Munch-Ausstellung ausserhalb Norwegens nach dem Tod des Künstlers. Mit Munch setzt die Fondation Beyeler ihre konsequente Präsentation von Hauptvertretern der Moderne von Cézanne, Monet, Malewitsch, Mondrian, Matisse und Picasso fort. Es ist ein Novum, dass eine Ausstellung der Frage der Modernität in Munchs Werken nachgeht, diesen vom radikalen jungen Neuerer zum Vorläufer und Begründer des Expressionismus als Meister des Materials und künstlerischen Experiments vorstellt. Die retrospektiv angelegte Themenausstellung ist der Neuentdeckung von scheinbar Altbekanntem verschrieben und vereint neben Ikonen der Kunstgeschichte wie Das kranke Kind, Madonna, Melancholie, Vampir, Pubertät oder Selbstporträt in der Hölle auch zahlreiche selten oder seit dem Tod des Künstlers nicht mehr gezeigte Werke aus zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen. Munchs höchst farbige Werke sind nicht nur Zeugnisse seines eigenwilligen, sondern auch entscheidenden Beitrags zur Moderne. Als zentrale und innovative Besonderheit seines Werks wird dabei das Thema des Verschwindens und des Entstehens des Motivischen gezeigt. Dieses Grundthema wird sowohl auf materieller wie auf motivischer Ebene nachvollzogen und bietet einen idealen Ausgangspunkt zur Auseinandersetzung mit der radikalen Dimension von Munchs Modernität. Diese einzigartige Position des Künstlers wird in Relation zum klassischen Verständnis von Modernität untersucht, die auf jenen Werken fusst, die auch zu den Hauptwerken der Sammlung der Fondation zählen wie jene von Monet, Cézanne und Mondrian bis hin zu Rothko.
Die gezeigten Werke ermöglichen, ausgehend von Munchs frühem Bruch mit dem skandinavischen Naturalismus, die Auseinandersetzung mit seinen malerischen und druckgrafischen Experimenten. So treten in seinen Berliner Jahren (1892–1895) anstelle vom französischen Impressionismus und Postimpressionismus beeinflusster Themen Schilderungen der erlebbaren menschlichen Existenzangst des zivilisierten Menschen, der Einsamkeit und des Schmerzes. Mit Madonna, Pubertät, Kuss oder Vampir schafft Munch jene Themen, die ihn ein Leben lang begleitet haben und die er in der Folge zum Lebensfries kombiniert. Seinen Experimenten mit der Druckgrafik in Paris der Jahre 1896/97 folgen monumentalere und flächiger angelegte Gemälde. Nach unsteten Jahren der persönlichen Krise, zahlreicher Reisen innerhalb Europas lässt sich in der Schau ein charakteristischer Stilwandel hin zu Werken von unvergleichlicher Farbintensität und Expressivität erkennen. Seine Auseinandersetzung mit Fotografie und Bewegung und in der Folge auch mit dem Stummfilm setzt er auch nach seinem nervlichen Zusammenbruch im Jahr 1908 und seiner folgenden Genesung konsequent fort. Die Ausstellung folgt seiner künstlerischen Entwicklung bis hin zu dem fulminanten Spätwerk und der Auflösung seines Selbst in seinen letzten Selbstporträts.
* Dieter Buchhart ist Kurator der Edvard Munch-Ausstellung
Gespenster – Munch, der Dramatiker
Edvard Munch – Zeichen der Moderne
18.03.2007 – 15.07.2007 | Fondation Beyeler
Von Ulf Küster*
Einer der Gründe dafür ist Munchs Bildsprache, die besonders vom Theater seiner Zeit, vor allem von Henrik Ibsen beeinflusst wurde. Die beiden grossen Norweger lebten nicht nur zur gleichen Zeit, sie schufen ihre Werke auch aus der gleichen Grundstimmung. Munch war vor allem inspiriert von dem Drama Gengangere, deutsch Gespenster, des 35 Jahre älteren Dichters, für das er auf Anregung Max Reinhardts, des grossen deutschen Regisseurs des naturalistischen Theaters, Bühnenbilder entwarf.
Am Ende des ersten Aktes der Gespenster aus dem Jahre 1881 hat die weibliche Hauptfigur, Helene Alving, im Gespräch mit dem bigotten Pastor Manders ein Déjà-vu-Erlebnis, die Schlüsselszene des Stückes: Sie hört, wie sich im Nebenzimmer ihr Sohn Osvald an das Hausmädchen Regine heranmacht, und fühlt sich an ihren verstorbenen Mann erinnert, den Kammerherrn Alving, der vor Jahren eine Affäre mit der Mutter Regines hatte, ihrem damaligen Stubenmädchen. Zu Pastor Manders, dem sie gerade von dieser Episode und von dem ausschweifenden Leben ihres Mannes erzählt hatte, sagt sie «heiser», so wie es die Regieanweisung verlangt: «Gespenster. Das Paar im Wintergarten – es ist wieder da.» Durch die Reaktion des zutiefst erschrockenen Pastors «Was sagen Sie! Regine – ? Ist sie – ?» und durch die bejahende Antwort Helenes dämmert dem Publikum, dass Regine nicht die Tochter des versoffenen Tischlers Engstrand, sondern die Tochter Alvings ist, und dass eine Beziehung zwischen Regine und Osvald, offensichtlich Halbgeschwister, ein Inzest wäre. Darum geht es vor allem in Ibsens Drama: dass man Erbe der Vorväter nicht nur aktiv in den Handlungen ist, sondern auch passiv als Erbe von Auffassungen, Moralvorstellungen und von Krankheiten. Osvald Alving wird am Ende des Stückes wahnsinnig, durch die Syphilis, die er von seinem Vater geerbt hat.
Edvard Munch sah in der Person des Osvald, der im Drama der engen und verlogenen Welt des Pastors die für ihn unverdorbene und viel ehrlichere Welt der Künstlerbohemiens gegenüberstellt, zu denen er sich hingezogen fühlt, viele Ähnlichkeiten mit sich selbst. In Notizen und autobiografischen Aufzeichnungen schrieb er von der «Osvald-Stimmung» und vom «Gespenstergefühl»; er war überzeugt, dass seine gesundheitlichen Probleme von seinen Eltern, vor allem vonseiten der Familie seiner Mutter stammten und: «Von Vaters Seite erbte ich den Wahnsinn.»
Die depressive, zutiefst pessimistische Stimmung von Ibsens Dramen spiegelt sich in Munchs Bildern, die eher ein Fin-de-
Siècle-Gefühl vermitteln als eine Aufbruchstimmung und – allerdings nur in diesem Sinne – keineswegs »modern« wirken. Es wäre aber zu wenig die Gemeinsamkeiten von Munch und Ibsen nur in der übereinstimmenden Darstellung dieses Lebensgefühls zu sehen. Henrik Ibsen hat den Maler weiter gehend beeinflusst. Ibsens grosse Fähigkeit, allein durch Andeutungen und durch Personenkonstellationen das Publikum Sinnzusammenhänge erfahren zu lassen, ohne diese zunächst zu benennen, seine dramatische Technik, im Inneren des Zuschauers eine Art Kartenhaus zusammenstürzen zu lassen, ist von Munch in eigenständiger Weise in Bilder umgesetzt worden.
Dabei griff Munch mit sinnstiftenden Titeln für seine Bilder auf dramatische Mittel der Genremalerei des 19. Jahrhunderts zurück; auch Ibsens Dramen sind ja nicht weit von den pathetisch-sentimentalen Szenen der Salonkunst entfernt. Munchs Bilder mit Titeln wie Angst, Der Tag danach oder Die Mörderin, lassen allein schon durch ihren Namen eine dramatisch-pathetische Szene erwarten. Dagegen ist Munchs Malstil, seine expressive und aus der Perspektive akademischer Kunst des 19. Jahrhunderts völlig exzentrische Verwendung von Farbe alles andere als vormodern, aber es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass das Theatralische seiner Bildtitel seine Wurzeln in der Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts hat.
Für die Verbildlichung Ibsen’scher Figurenkonstellationen ist das als Gemälde und als Druckgrafik in verschiedenen Fassungen existierende Bild Eifersucht ein besonders gutes Beispiel. Gezeigt wird nämlich genau das von Munch erwähnte «Gespenster-Gefühl»: Der Mann im Vordergrund, von dem nur das Gesicht zu sehen ist, scheint dem Betrachter mitzuteilen, was im Hintergrund passiert. Er ist damit in ähnlicher Position wie Helene Alving, die von Osvald und Regine als «Gespenstern» spricht, welche jedoch vom Publikum im Theater nicht gesehen werden. Das klassische dramatische Mittel der Teichoskopie, der «Mauerschau», hat Munch aufgelöst und in ein Bild umgesetzt, wobei er den ebenso essenziellen wie banalen Umstand benützt, dass Bilder im Unterschied zur Theaterszene keine Sprache haben. Der Mann im Vordergrund scheint nicht das zu sehen, was im Hintergrund vorgeht. Dieses kann etwas Reales sein oder das, was sich in seinem Kopf abspielt. Indem er dies dem Betrachter mitzuteilen scheint, macht er die Szene im Hintergrund zu einer Art bildlicher Sprechblase. Durch die Konfrontation von Gesicht und Szene appelliert Munch, ganz ähnlich wie Ibsen, an die kombinatorischen Fähigkeiten des Betrachters und scheint damit den Titel geradezu überflüssig zu machen. Grundsätzlich scheint die Kunst von Edvard Munch stark mit Sprache in dramatischer Situation, mit dem Theater verbunden zu sein.
Viele von Munchs Interieurs, seien es die verschiedenen Fassungen der Gemälde von Krankenzimmern, seien es die Bilder der Serie Das grüne Zimmer, vermitteln dem Betrachter das Gefühl, in einen Bühnenraum zu blicken. Zwar hat Munch nicht viele wirkliche Bühnenbildentwürfe gemacht, seine Kunst scheint aber in idealer Weise dramatischen Bedürfnissen seiner Zeit entgegengekommen zu sein, was wiederum mit seiner inneren Nähe zu Ibsen zusammenhängt. Der Regisseur Max Reinhardt hat dies sicherlich im Sinn gehabt, als er Munch bat, zur Eröffnung der Berliner Kammerspiele im Jahr 1906 Bühnenbilder für Ibsens Gespenster zu entwerfen. Wir zeigen Entwürfe aus dieser Serie in unserer Ausstellung. Was Reinhardt eigenen Aussagen zufolge ganz besonders an den Entwürfen Munchs beeindruckte, war in der Wahl der Farben die bewusst kalkulierte und teilweise nur graduelle Abweichung von der Norm, von dem, was man als Betrachter eigentlich erwartet. Offenbar versuchte Reinhardt das umzusetzen und begann sich dadurch von Grundüberzeugungen des naturalistischen Theaters zu lösen, hin zu einer expressiveren, dramatischen Form. Bis heute ist dieses Prinzip einflussreich geblieben, wie ein aktuelles Beispiel am Theater Basel zeigt: Beate Fassnachts Bühnenbild zu Besuch, einem Stück des Norwegers Jon Fosse, der als Erbe Ibsens gesehen werden kann.
* Ulf Küster ist Kurator der Fondation Beyeler
Zerstörung der Gemütlichkeit?
Zerstörung der Gemütlichkeit? Der Wandel von Wohnidealen
10.02.2007 – 28.05.2007 | Vitra Design Museum, Weil am Rhein/D
Programmatische Wohnausstellungen des 20. Jahrhunderts im Vitra Design Museum in Weil am Rhein/D
Ausstellungen haben die Stilgeschichte des Wohnens im 20. Jahrhundert massgeblich beeinflusst. Kein Medium eignet sich besser, neue Möbel, Einrichtungsideen und Wohnprogramme einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen und sie zugleich haptisch und räumlich erfahrbar zu machen. So wurden Ausstellungen über die Jahrzehnte immer wieder genutzt, um Wohnkonventionen und traditionelle Einrichtungskonzepte zu hinterfragen und neue Wohnideale zu proklamieren. Mustersiedlungen und Schauwohnungen dienten Architekten als kreatives Experimentierfeld, ohne die Sach- und Finanzzwänge des Bauwesens oder der Serienproduktion. Designer zeigten in Ausstellungen ihre Wohnvisionen von morgen, Unternehmen präsentierten auf diesem Weg das Gestaltungspotenzial neuer Werkstoffe. Museen und Messen gelang es immer wieder, die wichtigsten gestalterischen Tendenzen ihrer Zeit wie in einem Brennglas zu bündeln, um den Blick der Öffentlichkeit auf die neuen Einrichtungsmöglichkeiten zu lenken. Nicht selten auch als Orientierungshilfe oder gar mit pädagogischen Absichten.
Auf all diesen Ebenen haben Ausstellungen im 20. Jahrhundert eine Vorreiterrolle für modernes Wohnen übernommen. Im Stilwandel des häuslichen Interieurs der letzten 100 Jahre verkörpern sie gleichsam die extremen Ausschläge, die Spitzen der Entwicklung, während sich die Wohngewohnheiten der breiten Bevölkerung nur vergleichsweise langsam wandeln. Sowohl durch ihr unmittelbares Publikum, als auch als Inspirationsquelle für Architekten und Designer sowie über die ikonenhaften Bilder, die sie mitunter generieren, haben diese Wohnausstellungen das alltägliche Wohnen im 20. Jahrhundert geprägt Sie trugen zur Kanonisierung von Stilen ebenso bei wie zur Etablierung von Designklassikern. Vor allem aber haben sie unsere Vorstellung vom gemütlichen Heim immer wieder radikal in Frage gestellt.