05.06.2019 – 22.09.2019
Von Sandra Beate Reimann
Rebecca Horn (*1944) hat in ihrem fünf Jahrzehnte umspannenden Werk einen symbolischen Kosmos geschaffen, der in seiner Offenheit und Poesie tief berührt. Die Künstlerin choreografiert in ihren Arbeiten Bewegungen von Menschen und Maschinen. Sie thematisiert Emotionen, wie Liebe und Begehren, aber auch Angst und Beklemmung. Die mechanische Motorik des Körpers und ein phantastischer Tanz der Dinge werden zum Ausdruck der Bewegungen der Seele.
Inspiration für Rebecca Horns Schaffen bilden stets der Körper und dessen Bewegungen. In ihrem performativen Frühwerk der 1960er- und 1970er-Jahre äusserte sich dies in der Anwendung von Objekten, die als Körpererweiterungen neue Wahrnehmungserfahrungen eröffnen und zugleich auch als Begrenzungen wirken. In der Folge schuf die Künstlerin ab den 1980er- Jahren primär kinetische Skulpturen und zunehmend raumgreifende Installationen, die durch Bewegung lebendig werden. Der agierende Körper wurde durch einen mechanischen Akteur ersetzt. Diese Transformationsprozesse zwischen erweiterten Körpern und animierten Maschinen in Rebecca Horns Œuvre stehen in Basel im Zentrum. In der Ausstellung werden performative Arbeiten und spätere Maschinenskulpturen nebeneinander gezeigt, um die Entfaltung von Bewegungsmotiven im Schaffen der Künstlerin nachvollziehen zu können. Gegliedert in mehrere Geschichten, zeichnet die Basler Präsentation so die Entwicklung ihrer Werke als «Stationen in einem Transformationsprozess» (Rebecca Horn) nach und betont die Kontinuität ihres Schaffens.
In der Performance Weisser Körperfächer (1972) knüpfte Rebecca Horn an die alte Faszination der Menschen für geflügelte und gefiederte Wesen an. Mit Gurten fixierte sie an ihrem Körper ein Paar halbkreisförmige Flügel aus weissem Stoff, die sich durch Heben der Arme entfalten. Ein Film dokumentiert die von ihr mit diesem Körperinstrument vollführten Bewegungsexperimente: Das Öffnen und Schliessen, die Kontrolle der Flügel im Wind, Formen des Versteckens und Enthüllens, aber auch das Flügelausbreiten. Es sind Bewegungsmuster, die Rebecca Horn in einer Reihe von Skulpturen weiterentwickelte, so etwa in der einen nackten Körper umhüllenden Paradieswitwe (1975), in der balzenden Pfauenmaschine (1981), dem Hängenden Fächer (1982) oder dem Federrad Zen der Eule (2010).
Eine weitere frühe, zentrale Arbeit ist der Überströmer (1970), der den Menschen als ein hydromechanisches Gebilde präsentiert. Sie ist Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit verschiedenen Formen der Zirkulation. Der Arbeit steht die Installation El Rio de la Luna (1992) gegenüber, die mit einem Röhrensystem wuchernd in den Raum ausgreift und in deren «Herzkammern» Quecksilber von Pumpen bewegt wird. Während im ersten Fall die innere Bewegung des Blutkreislaufs nach aussen verlegt wurde, stand im zweiten Fall das Sichtbarmachen von emotionalen Energieströmen für Rebecca Horn im Vordergrund. El Rio de la Luna ist ein Schlüsselwerk der Künstlerin, das bis in die Architektur des Museums vorzudringen scheint.
Eine gezeichnete Linie oder eine Farbmarkierung ist immer auch die Spur einer Körperbewegung. Dieses Thema wird, ausgehend von der Bleistiftmaske (1972), einem Instrument, das auf dem Kopf getragen wird und den Körper in eine rhythmische Zeichenmaschine verwandelt, in der Ausstellung vorgestellt. Konsequent führte die Künstlerin die Thematik in automatisierten Malmaschinen fort. Die Malspuren der Maschinen werden dabei immer auch als Ausdruck von Emotionen verstanden. Die Trichter von Les Amants (1991) enthalten vermeintlich schwarze Tinte und rosa Champagner, und mit den grossflächig, fast explosiv über die Wand verteilten Farbspritzern versinnbildlicht das Werk leidenschaftliche Passion. Ab den 1980er-Jahren griff Rebecca Horn das Medium der Zeichnung erneut auf, was in den grossformatigen Papierarbeiten der Serie Bodylandscapes (ab 2003) gipfelte. Diese Arbeiten beziehen sich auf die Körpergrösse und Armspannweite der Künstlerin und sind zugleich Einschreibungen von Körper und Psyche.
Zu den frühen prothesenartigen Körpererweiterungen Rebecca Horns zählen auch die Handschuhfinger (1972). Mit diesen erkundete die Künstlerin wie mit Fühlern tastend ihre Umgebung. In ihren kinetischen Werken entwickelte sie das Sujet der Extension von Händen und Füssen weiter und griff immer wieder auf alltägliche Objekte wie beispielsweise Pinsel, Hammer oder hochhackige Damenschuhe zurück. Auch Schreibmaschinen mit ihren Klaviaturen sind Instrumente, die unsere Finger verlängern. Sie wurden von Rebecca Horn in mehreren Werken verwendet, darunter in dem in Basel ausgestellten Hauptwerk La Lune Rebelle (1991). Zehn glänzend schwarze Exemplare hängen kopfüber aufgereiht von der Decke. In unregelmässigen Abständen werden die Tasten angeschlagen. Wie in einem Akt der Kapitulation baumelt aus einem der antiquierten Geräte das Farbband in einer langen Schlaufe herunter. Das Arrangement wird abgeschlossen durch zwei Klassiker, eine transatlantische Liaison aus einer amerikanischen Underwood und einer deutschen Kappel, zwischen denen eine elektrische Entladung als zuckender Lichtbogen sichtbar ist.
Das Centre Pompidou-Metz und das Museum Tinguely präsentieren gleichzeitig zwei der Künstlerin Rebecca Horn gewidmete Ausstellungen. Damit bieten die beiden Institutionen ergänzende Einblicke in das Schaffen einer Künstlerin, die zu den aussergewöhnlichsten ihrer Generation gehört. Mit über 50 Werken und herausragenden Leihgaben ist Rebecca Horns Kunst erstmals seit über 30 Jahren in einer grossen Einzelausstellung in der Schweiz zu sehen. ◀