06.10.2019 – 26.1.2020
Leonor Antunes, Silvia Bächli, Toba Khedoori, Susan Philipsz, Rachel Whiteread
Von Marlene Bürgi
Die Herbstausstellung der Fondation Beyeler ist fünf zeitgenössischen Künstlerinnen gewidmet: Leonor Antunes, Silvia Bächli, Toba Khedoori, Susan Philipsz und Rachel Whiteread. Zum ersten Mal stellen die international renommierten Künstlerinnen gemeinsam aus. Anders als bei einer umfassenden Gruppenschau liegt der Fokus auf exemplarischen Werken, die in sehr unterschiedlicher Form eine eigene Qualität von Räumlichkeit entfalten – als Skulptur, Zeichnung oder Soundinstallation. Die Werke evozieren Räume, die zwischen dem Erkennbaren und Flüchtigen oszillieren. Sie schaffen Orte und Ruhepausen, in denen die Fähigkeit des Erinnerns ausgelöst und Bilder lebendig werden.
Raum war lange kein Thema in der Kunst. Seit den 1960er-Jahren haben neue Ausdrucksformen wie Performance, Installation und Film Eingang in die Kunst gefunden, was Räume zu einem wichtigen Aspekt und Erlebnis des modernen und zeitgenössischen Kunstschaffens gemacht hat. Der Titel der Ausstellung lehnt sich an die Bedeutungen der beiden englischen Begriffe resonating und resonance an, die offener sind als die deutsche Bezeichnung des Resonanzraums. In der Ausstellung geht es jedoch nicht um einen thematischen Zugang zum Raum. Vielmehr zielt sie darauf, anhand von fünf Positionen Inhalten oder Gegebenheiten Anschaulichkeit zu verleihen, die zwar in den Arbeiten der Künstlerinnen eine konkrete Präsenz haben, gewöhnlich aber nicht wahrnehmbar sind.
Klänge: Susan Philipsz
Die schottische Künstlerin Susan Philipsz (*1965) erkundet die plastischen Eigenschaften von Klängen – meist unter Einbeziehung des Raums oder der konkreten Umgebung. Als Ausgangspunkte ihrer Soundinstallationen dienen ihr sowohl vokale als auch instrumentale Tonaufnahmen. Dazu greift Philipsz auf bereits existierende Musikstücke, etwa Popsongs, Volkslieder und neuzeitliche Choräle, zurück, die sie mit ihrer unausgebildeten Stimme und ohne Begleitung intoniert. Seit einigen Jahren sind auch Instrumentalwerke ein wichtiger Teil ihres künstlerischen Werks, wobei unter anderem Funksignale, singende Gläser oder im Krieg beschädigte Blasinstrumente Verwendung finden. Ausgehend von intensiven Recherchearbeiten, eröffnet die Künstlerin Bezüge zu bestimmten historischen oder literarischen Gegebenheiten des jeweiligen Ortes. Dank der überraschenden, auf die Örtlichkeit abgestimmten Klänge wird die Aufmerksamkeit auf die unmittelbare Umgebung gerichtet, sodass diese in neuer Weise erfahren wird.
Spuren: Toba Khedoori
Toba Khedoori (*1964) fertigt grossformatige Zeichnungen und seit einigen Jahren auch kleinere Formate sowie Werke auf Leinen an. Seit Mitte der 1990er-Jahre zeichnet die australische Künstlerin, die heute in Los Angeles lebt und arbeitet, architektonische Gebilde, die sie als Einzelobjekte oder in serieller Reihenfolge ohne vorgegebenen Kontext minutiös ins Bild setzt. Dabei tritt das grosse Format der wachsüberzogenen Papierbahnen stets in Kontrast zur zeichnerischen Präzision. In jüngster Zeit hat Khedoori ihren Fokus jedoch geändert, indem sie ihre Bildobjekte nicht mehr aus der Ferne, sondern aus unmittelbarer Nähe erfasst. Über die naturbezogenen Motive wie Zweige (Bild oben), Berge oder Wolken hinaus wird das Close-up-Prinzip in einigen Werken so gesteigert, dass die Darstellungen nahezu ins Abstrakte kippen. Was die Arbeiten Khedooris verbindet, sind verschiedene Spuren, die auf eine Realität ausserhalb der Bilder deuten: Staub, Haare und kleine Schmutzpartikel in der Wachsschicht sowie ungewöhnliche Lichtreflexe und Schattenwürfe fungieren als subtile Hinweise auf die Aussenwelt jenseits der von Khedoori gestalteten Assoziationsräume.
Erinnerungen: Rachel Whiteread
Seit den frühen 1990er-Jahren hat die britische Künstlerin Rachel Whiteread (*1963) ein ausserordentliches plastisches Œuvre hervorgebracht. Ihre Skulpturen entstehen aus Abdrücken und Abgüssen von vertrauten Gegenständen, etwa architektonischen Strukturen oder Hohlkörpern, die in ihrer Materialität reduziert werden und dadurch meist fremd wirken. Whiteread verleiht den Negativräumen von Objekten – zum Beispiel von einer Wärmeflasche, einem Schrank oder einem Büchergestell – Gestalt, sodass eigenständige Skulpturen entstehen. Dabei sind nicht nur Einzelobjekte fester Bestandteil ihres Werks, sondern auch eindrucksvolle Abgüsse ganzer Wohnräume. Stets verweisen ihre Werke auf die Abwesenheit der Ausgangsobjekte und damit auf Innen-, Zwischen- und Umräume, die im Alltag meist unbeachtet bleiben. So wird Whitereads Schaffen gleichermassen Bezugspunkt für eigene Erinnerungen.
Leerstellen: Silvia Bächli
Das Œuvre von Silvia Bächli (*1956) umfasst eine Vielfalt von klein- und grossformatigen Zeichnungen. Charakteristisch für ihre frühen Werke, die zu Beginn der 1980er-Jahre entstanden, sind figurative ebenso wie abstrakte Darstellungen im Kleinformat. Seit etwas mehr als zehn Jahren wendet sich die Schweizer Künstlerin auch grösseren Papierarbeiten zu, die sich zusehends von Verweisen auf gegenständliche Motive lösen. Die Konzentration liegt nun auf Liniengefügen und reduzierten Pinselbahnen, deren Wirkkraft im ständigen Austarieren von Papierfläche und Gezeichnetem wurzelt. Von Anbeginn an hat Bächli ihre Werke als wandelbare Gruppen in Form von oft auch wandfüllenden Installationen präsentiert. Das Zusammenspiel von Zeichnung, Bildrand, Papiergrund und den weissen Wänden der Ausstellungsräume ist dabei von entscheidender Bedeutung. Mittels jener Leerstellen entfaltet sich ein Raum, der auch die Betrachterinnen und Betrachter einbezieht.
Wandlungsfähigkeit: Leonor Antunes
In ihren raumgreifenden Installationen setzt sich die portugiesische Künstlerin Leonor Antunes (*1972) mit der Wandlungsfähigkeit der Skulptur und der modernen Formensprache auseinander. Seit den späten 1990er-Jahren hat die Künstlerin ortsspezifische Werke geschaffen, deren geometrische Formen und Materialvielfalt, darunter Leder, Nylon und Messing, auch für ihre aktuellen Arbeiten kennzeichnend sind. Parallel zur Erkundung der Materialität und zum Wechselspiel zwischen Skulptur und Architektur erforscht Antunes auch die historischen und sozialen Hintergründe von Persönlichkeiten aus Architektur, Design und Kunst jenseits des gängigen Kanons. Motive und Elemente, die sie unter anderem Möbelstücken, Textilien oder Druckgrafiken entleiht, bildet sie massstabsgetreu nach und löst sie von ihrer ursprünglichen Funktion. Auf diese Weise verarbeitet Antunes diese spezifischen Referenzen und verleiht ihnen eine skulpturale Gestalt.
Raumempfinden und Raum empfinden
In vielerlei Hinsicht sind die fünf Künstlerinnen äusserst verschieden: Sie leben nicht nur an unterschiedlichen Orten auf der Welt, auch ihre Ausdrucksmittel und künstlerischen Herangehensweisen, ihre Beschäftigung mit bestimmten Themenbereichen und ihre Arbeitskontexte unterscheiden sich voneinander. Doch gemeinsam ist ihren Werken, dass sie exemplarisch für ein Raumempfinden stehen, um das sich die Ausstellung dreht. Die Installationen, Skulpturen und Zeichnungen erscheinen zunächst zurückhaltend und unaufdringlich, doch gerade darin liegt ihre Wirkkraft, die es uns ermöglicht, Raum gleichsam zu empfinden. ◀