Schaulager
bis 26. August 2018
Bruce Nauman gilt als einer der wegweisendsten Künstler der Gegenwart. Mit dem Einsatz einer schier unerschöpflichen Vielfalt an Materialien, Techniken und Medien untersucht er die existenziellen Fragen des Individuums. Der US-Künstler ergründet Themen wie Sprache und Körperlichkeit, lotet Regelwerke und Machtstrukturen aus und fordert unsere Wahrnehmung und Vorstellungskraft heraus.
Von Martina Venanzoni
Als Auftakt der Ausstellung wird ein isoliertes Werk präsentiert: Venice Fountains (2007) besteht aus zwei alten, nebeneinander platzierten Waschbecken, darunter je ein Eimer, darüber je eine wächserne Maske von Naumans Gesicht. Alle drei Elemente sind durch Plastikschläuche verbunden, durch die Wasser zirkuliert. Es ist eine seltsame Brunnenskulptur, die Nauman hier geschaffen hat: Jegliches Erhabene und Heroische, das man üblicherweise einer solchen zuschreiben würde, fehlt. Die Waschbecken sind schmutzig, das ganze Werk wirkt äusserst improvisiert, und Naumans Antlitz ist nur von hinten zu sehen. Anstatt ein prachtvolles Wasserspiel zu erzeugen, entschwindet das Wasser unspektakulär im Abfluss des Spülbeckens.
Doch die Arbeit ist beispielhaft für das Werk des 1941 in den USA geborenen Künstlers, der stets mit dem Publikum Katz und Maus zu spielen wusste, und dessen Arbeiten oft wie Experimente oder beiläufige Versuchsanordnungen anmuten. Die Ausstellung Bruce Nauman: Disappearing Acts, die noch bis zum 26. August im Schaulager zu sehen ist, spürt dem sich stets aufs Neue entziehenden Werk des Künstlers nach und versucht, es gerade unter dem Aspekt des Entzugs und der Abwesenheit zu fassen.
Spuren des Körpers
In den Skulpturen der 1960er-Jahre ist es Naumans Körper, der abwesend und doch zugleich anwesend ist. Arbeiten mit so sprechenden Titeln wie Neon Templates of the Left Half of My Body Taken at Ten-Inch Intervals (1966), Storage Capsule for the Right Rear Quarter of My Body (1966) oder Wax Impressions of the Knees of Five Famous Artists (1966) suggerieren die ehemalige Präsenz eines Körpers, der jetzt nur noch in den Spuren sichtbar ist, die er hinterlassen hat. Diese nehmen die Form von Abdrücken, Schablonen oder futuristisch anmutenden «Lagerungskapseln» für einzelne Körperteile an. Auch in den Filmen und Videos derselben Zeit setzt Nauman seinen eigenen Körper ein. In seinem Atelier führt er monotone Handlungen durch, die er mit einer statischen Kamera aufnimmt. Im Ausstellungsraum werden die Arbeiten auf Monitoren präsentiert. Durch eine Drehung des Bildes um 90 oder 180 Grad oder durch Abspielen in Zeitlupe wird die Medialität der Aufnahme gegenüber der ursprünglichen «Live»-Situation explizit zum Thema gemacht. In First Hologram Series: Making Faces B (1968) ist es die in den 1960er-Jahren neuartige Technologie des Laserhologramms, die den Körper zwar dreidimensional sichtbar, aber dennoch physisch ungreifbar macht.
Imagination und Modelle
Gedankliche Experimente und Konstrukte, die nur in unserer Imagination existieren, sind ein weiterer Weg, wie Nauman Absenz präsent macht. In der Installation Cones Cojones (1973–1975) suggerieren einfache Klebebandkreise auf dem Boden die Schnittflächen von fiktiven, vom Inneren der Erde bis ins Weltall reichenden riesigen Kegeln. Auch die skulpturalen Entwürfe für unterirdisch zu bauende Tunnels fordern unsere Vorstellungskraft: Model for Trench and Four Buried Passages (1977) ist eine Skulptur von gewaltiger Grösse und von augenfälliger Materialität, die gemäss Titel allerdings nur als Maquette verstanden werden soll. Bruce Nauman sagt zu dieser Werkgruppe: «Die Kreise sind Räume unter der Erde – Tunnel und Schafte –, in denen man herumlaufen könnte, wenn die Skulpturen in voller Grösse gebaut würden. Bei den flachen, offenen Räumen ist das obere Ende in Bodenhöhe. Von da aus könnte man in sie hineingehen, dann eine Schräge hinunter zu ihrem Mittelpunkt hin.» Der eigenen Fantasie offen bleiben auch die Funktion und die möglichen Verwendungszwecke solcher fiktiver Vorrichtungen und Kräftefelder.
Strom, Licht und Ton
Der elektrifizierende Klang der in verschiedenen Rhythmen blinkenden Neonarbeiten begrüsst einen im Untergeschoss der Ausstellung. Wörter, Figuren und Zeichen leuchten in teils verstörenden Sequenzen auf und bedienen sich der Aufmerksamkeit heischenden Bildsprache von Neonreklamen. In raumfüllenden Mehrkanal-Videoinstallationen springen und zirkulieren Bilder und Töne nach vorbestimmten Codes. Wie in einer Kommandozentrale oder einem Steuerungsraum blinkt es in verschiedenen Mustern und Rhythmen. Doch die Menge an Signalen überreizt die Sinne und überfordert unseren Verstand. Eine Übersicht ist nur schwer zu erlangen.
Contrapposto Studies
Zum Schluss der Ausstellung ist es wieder der Körper des Künstlers, der in den Fokus rückt: Die beiden Arbeiten Contrapposto Studies, i through vii (2015/2016) und Contrapposto Split (2017) – erstere ist erstmals in Europa zu sehen, letztere ist gar eine Weltpremiere – zeigen den im Kontrapost schreitenden Nauman, wie er dies bereits in einer seiner frühesten Videoinstallationen Walk with Contrapposto (1968) getan hat. Anstelle eines schwarz-weissen, körnigen Videobildes wurden die neuen Arbeiten mit HD-Video aufgenommen und sind digital bearbeitet. Der Körper ist gleich mehrfach zu sehen, mal sind die Farbwerte verkehrt, mal wird das Band rückwärts abgespielt und das Bild ist bis zu sieben Mal horizontal unterteilt, wobei sich die dadurch entstehenden sieben Körperfragmente unabhängig voneinander bewegen. In Contrapposto Split tritt der Künstler dem Betrachter gar in 3D-Technologie entgegen. Was nach Spektakel tönt, ist allerdings keines. So unaufgeregt, wie Nauman im Kontrapost schreitet, so beiläufig und selbstverständlich setzt er die neusten Technologien ein und benutzt sie, um ein Werk zu schaffen, das nach wie vor scharfsinnig, witzig und hoch aktuell ist.