Shirley Jaffe, Playground, 1995

Shirley Jaffe – Form als Experiment

Kunstmuseum Basel | Neubau

25.03.2023 – 30.07.2023

Mit Shirley Jaffe. Form als Experiment präsentiert das Kunstmuseum Basel dem Schweizer Publikum die erste Retrospektive einer eigensinnigen Künstlerin, die dank ihres künstlerischen Mutes zum Vorbild für viele jüngere Kolleginnen wurde. In Paris, wo die US-Amerikanerin sich in den 1950er-Jahren niederliess, fand sie über die Jahre zu einer ganz eigenen Formsprache. 

Shirley Jaffe, Arceuil Yellow, 1956
Shirley Jaffe, Arceuil Yellow, 1956

Shirley Jaffe (1923–2016) wurde als Shirley Sternstein in New Jersey geboren und studierte an der Cooper Union in New York. 1949 zog sie dank der sogenannten G.I. Bill für US-amerikanische Kriegsveteranen zusammen mit ihrem Ehemann, dem Journalisten Irving Jaffe, nach Paris. Die Ehe hielt nicht, doch Jaffe blieb. Bald verkehrte sie mit vielen US-amerikanischen Künstler:innen, die nach dem Krieg in der französischen Hauptstadt lebten, darunter Al Held, Norman Bluhm, Kimber Smith, Sam Francis, Joan Mitchell und der Kanadier Jean-Paul Riopelle. Die abstrakt expressionistischen Bilder aus dieser Zeit, wie zum Beispiel Arcueil Yellow (1956), erinnern an geologische Formationen. Einhergehend mit einer Steigerung des Gestischen gewannen Pinselstrich und Palette im Laufe der Jahre an Komplexität.

Im Centre culturel américain in Paris organisierte Darthea Speyer 1958 eine Ausstellung von Shirley Jaffe zusammen mit Sam Francis und Kimber Smith. Über Francis lernte Jaffe den Kurator Arnold Rüdlinger kennen, der als Direktor der Kunsthalle Bern (1946–1955) und der Kunsthalle Basel (1955–1967) die Schweizer Kunstlandschaft nachhaltig veränderte und modernisierte. Rüdlinger zeigte ihre Bilder in mehreren Gruppenausstellungen und erwarb zwei ihrer Werke für die legendäre Privatsammlung La Peau de l’Ours, die 1955 von sieben Kunstfreunden in Basel gegründet wurde. Rüdlinger fungierte hier als Konservator. 1964 wurden sämtliche Werke der Sammlung in der Kunsthalle Basel ausgestellt. 

In den 1960er-Jahren wandte Jaffe sich von ihren Anfängen als abstrakte Expressionistin ab. Der Wandel in ihrem Schaffen begann mit einem Aufenthalt in Westberlin 1963, wo sie dank eines Stipendiums der Ford Foundation anderthalb Jahre verbrachte, bevor sie nach Paris zurückkehrte. Sie führte einfache, deutlich erkennbare Formen in ihre Gemälde ein, deren Geometrie sie eine umso kräftiger anmutende Gestik entgegensetzte. Leuchtende Farben unterstreichen die Struktur der Bilder. 

Ein noch radikalerer Wechsel geschah ab 1968. Sie verzichtete fortan auf jegliche Gestik und nutzte stattdessen eine klare Geometrie und matte Farbtöne. Es entstanden Kompositionen aus Farbflächen ohne jegliche Tiefe. Dieses Nebeneinanderstellen ging mit der Entscheidung einher, die Beziehungen zwischen den Farben nicht etwa durch Intensität, sondern durch die Arbeit mit Nähe und Entfernung zu dynamisieren. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist Boulevard Montparnasse von 1968.

1969 zog Jaffe in ein kleines Atelier in der Rue Saint-Victor im 5. Arrondissement, in dem sie beinahe bis zu ihrem letzten Atemzug 2016 malte und lebte. Viele Künstler:innen besuchten sie dort im Laufe der Jahre, darunter Polly Apfelbaum, Beatriz Milhazes und Sarah Morris. Für nachfolgende Generationen, die ihr Werk unter anderem in der Galerie Nathalie Obadia in Paris entdeckten, wurde sie zum Vorbild und zur Referenz, weil sie es gewagt hatte, sich radikal vom abstrakten Expressionismus abzuwenden und einen neuen Weg einzuschlagen.

Ab den 1970er-Jahren begann Jaffe, ihren persönlichen Stil mit markanten Konturen zu entwickeln. Diese Schaffensperiode ist geprägt von freien Formen, die aus der klassischen Geometrie abgeleitet sind und jeweils eigene Farbflächen bilden. Sofern sich Linien auf einer farbigen Fläche finden, übertreten sie weder die Ränder der Farbe noch überschneiden sie sich untereinander. Gegen Ende dieser Periode versucht Jaffe zudem, sich vom recht-
eckigen Rahmen zu lösen.

Ihr Werk ab 1983 steht ganz im Zeichen der Farbe Weiss, die zunächst die Formen voneinander trennt, um ihnen eine grössere Unabhängigkeit zu verleihen. In dieser Werkphase erkundet die Künstlerin auch, wie das Weiss zur dynamischen Verteilung der Farbflächen auf dem Gemälde beitragen kann. Die zuvor getrennten Formen können nunmehr in gewagten geometrischen Konstellationen zusammentreffen. Dabei ist das Weiss nicht als Hintergrundfarbe zu verstehen und ändert von Gemälde zu Gemälde seine Schattierung – es handelt sich nie um die gleiche Zusammensetzung der Farbe. Jaffe ergänzt ihre Werke durch lange gewundene oder kantige Linien, die durch mehrere Farbfelder verlaufen und so den Eindruck der Überlagerung verstärken. 

Schliesslich kommen seit 1995 und in besonderem Masse seit 2001 Veränderungen in der Farbdichte innerhalb einer Form auf. Das bislang organisiert-dynamische Chaos der Gemälde und die streng einheitlichen Farbflächen werden durch Pinsel-
spuren oder diffuse Farbstrukturen aufgebrochen.

Die Ausstellung wird kuratiert von Olga Osadtschy (Kunstmuseum Basel) und Frédéric Paul (Musée national d’art moderne Centre Pompidou)

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