Sofia Hultén im Museum Tinguely
24.01.2018 – 01.05.2018
Von Lisa Anette Ahlers
Die Installationen und Videos von Sofia Hultén nehmen ihren Anfang bei gefundenen Objekten – unscheinbaren Gebrauchsgegenständen oder Material aus der Welt der Baumärkte und Werkstätten. In präzisen, manchmal das Absurde streifenden Manipulationen studiert sie die von einem Vorleben gezeichneten Dinge, greift in deren Zerfallsprozesse ein oder überarbeitet sie zu neuen Arrangements. Die markanten Titel ihrer Arbeiten spielen auf Konzepte aus Philosophie und Quantenphysik sowie auf Motive aus Science-Fiction und Popkultur an. Dadurch stehen sie in einem überraschenden, oft humorvollen Kontrast zur Nüchternheit des von ihr verwendeten Materials und der von ihr gefilmten Situationen. Das Museum Tinguely widmet der in Berlin lebenden Künstlerin (*1972 in Stockholm) in Kooperation mit der Ikon Gallery in Birmingham im Januar die bisher grösste Einzelausstellung.
Poesie und Rätselhaftigkeit des Fundobjekts
Im Zentrum von Sofia Hulténs Arbeiten stehen im wahrsten Sinne des Wortes gefundene Objekte – Gegenstände, auf die sie durch Internetrecherchen oder auch auf der Strasse stösst. Zumeist handelt es sich dabei um industriell, mit zahlreichen Doppelgängern produzierte Dinge, die jedoch bereits Spuren ihrer individuellen Benutzung tragen. Mit Gespür für deren grandiose und poetische Aspekte widmet Sofia Hultén diesen leicht zu übersehenden Gegenständen akribische Aufmerksamkeit, wie etwa in der 72-minütigen Videoarbeit Past Particles (2010), deren Protagonisten ein gefundener Werkzeugkasten und die mehr als tausend in ihm enthaltenen Bau- und Ersatzteile sind. Einzeln abgefilmt nimmt jedes Teil für genau vier Sekunden die übergrosse Leinwand ein. Doch obwohl den kleinen Gegenständen anzusehen ist, dass sie für einen bestimmten Zweck und nach genauen Vorgaben produziert worden sind, entwischen sie unserem Vokabular, bleibt ihre Funktion in der Vergangenheit verborgen. Darauf spielt möglicherweise der Titel der Arbeit an, eine Konstruktion aus dem im Englischen für die Bildung verschiedener Zeiten notwendigen «past participle» und den «particles», die Teilchen, aus denen sich unsere Welt zusammensetzt.
Zeitschleifen, Reparatur und Zerfall
Ein immer wiederkehrendes Thema in Sofia Hulténs Arbeiten sind Zeitstrukturen und wie diese sich im Verhältnis zu dem von ihr verwendeten Material manifestieren. Die aus Objekt und vierteiliger Videoarbeit bestehende Installation Mutual Annihilation (2008) nimmt eine verwitterte Kommode zum Ausgangspunkt, die die Künstlerin sorgfältig restauriert, nur um sie sogleich mithilfe von Wachs, Farbe und Tritten wieder in genau den ramponierten Zustand zu versetzen, in dem sie das Möbelstück aufgefunden hatte. In einer ähnlichen Geste nimmt sich Hultén in der Serie Particle Boredom (seit 2016) Zuschnitte von Pressspanplatten (eng. «particle boards») vor, deren Form sie zunächst mit Latex abnimmt, die Platten dann zermahlt und anschliessend wieder in ihre ursprüngliche Form giesst. Mit diesem absurden, sich selbst vernich-
tenden Arbeitsaufwand stemmt sich Sofia Hultén
auf spielerische Weise gegen die Unmöglichkeit, die Zeit zurückzudrehen, und demonstriert, wie die meisten Faktoren, die den Zustand der von ihr bearbeiteten Objekte bestimmen, auch bei grösster Akribie ihrer Kontrolle entwischen.
Nicht-Sequenzen, Vermischungen und Variablen
Das Thema Zeit, Wirkung und Ursache nutzt Sofia Hultén auch auf eine andere Weise, etwa in der Videoserie Nonsequences (2013–2014). In dieser zerlegt sie banale Alltagsmomente in deren einzelne Phasen – zum Beispiel: einen Apfel an der Hose abwischen, den Apfel essen, ihn versehentlich in den Staub fallen lassen, den Apfel in einen Müllbeutel entsorgen – und spielt die Sequenzen in unterschiedlichen mehr oder weniger sinnvollen Reihenfolgen durch. Ein ähnliches Spiel mit Unordnung und Durchmischung betreibt sie auch in plastischer Form, etwa in der Serie Scramble (seit 2016), bei der sie Lamellen von mit Graffitis übersäten Rollläden demontiert und in anderer Kombination zusammensetzt. Auf noch erzählerischere Weise kombiniert History in Imaginary Time (2012) ein freistehendes Zaunelement, eine Kapuzenjacke, Farbe, ein im Zaun steckender Tennisball und vier abgerissene Kartonecken in unterschiedlichen Versionen. Das Befremdliche und Absurde der vertauschten, chaotischen Situationen rührt auch daher, dass sie mit grösster Selbstverständlichkeit und Präzision neben den sinnvolleren, logischen Reihenfolgen und Anordnungen präsentiert werden.
Here’s the Answer, What’s the Question?
Es sind sowohl das durch Hulténs Arbeiten angestossene Rätseln und Suchen, etwa nach der den Objekten zugrundeliegenden Funktion oder der «richtigen» Reihenfolge der von ihr gezeigten «Nicht-Sequenzen», als auch das die Objekte prüfende Vorgehen der Künstlerin, wie es in ihren Videos wie Altered Fates (2013) dokumentiert wird, die den Anstoss für den Titel der Ausstellung Here’s the Answer, What’s the Question? gegeben haben. Gleichzeitig bezieht der Titel sich auch auf die neue Werkserie Pattern Recognition (seit 2016), eine Auseinandersetzung mit der gleichnamigen Publikation aus dem Jahr 1967 des russischen Informatikers Mikhail Bongard. Auf Werkstattlochwänden setzt Sofia Hultén mithilfe von gefundenen Werkzeugen Diagramme um, die Bongard als Prüfsteine für intelligente Maschinen entwickelt hatte. Ein System, das eines Tages in der Lage wäre, die in seinen Diagrammen dargestellten Gegensätze (wie leer/voll, symmetrisch/nicht-symmetrisch) eigenständig zu benennen, hätte eine menschliche Fähigkeit zur Mustererkennung und Methodenentwicklung bewiesen. Konfrontiert mit einer Antwort, sind wir Betrachtenden aufgefordert, der dem Muster zugrundeliegenden Frage nachzugehen.