Stephen Cripps – Mehr als nur Schall und Rauch

Stephen Cripps
27.1.2017 bis 1.5.2017
Museum Tinguely

Karen N. Gerig ist Autorin von Artinside

Von Karen N. Gerig*
Stephen Cripps, so glauben wir, muss einer jener Buben gewesen sein, die mit glänzenden Augen und entrücktem Blick ein Feuerwerk am Himmel bestaunen. Bei manchen wächst sich das irgendwann aus, bei anderen bleibt es auch im Erwachsenenalter erhalten, so dass sie am Nationalfeiertag und auch an Silvester begeistert Lunte um Lunte zünden.

Stephen Cripps (1952–1982) war das nicht genug. Er wollte mehr: Er ging auf die Kunstschule und baute Feuerwerk in sein Schaffen mit ein. Und so knallt und knistert es nun im Museum Tinguely, wo dem Briten, der nur 30 Jahre alt wurde, eine Retrospektive eingerichtet wurde.

Film mit Knalleffekt
Bis man so richtig versteht, wie Cripps die Pyrotechnik nutzte, muss man ganz ans Ende der Ausstellung gehen. Dort, in einer Black Box, wird einer der wenigen Filme gezeigt, die den Weg in seinen Nachlass gefunden haben: Er zeigt eine Performance aus dem Jahr 1981. In einem Raum hängen und stehen Gongs und Becken, kurz hat man Zeit, deren Form und Standort zu erkennen, dann geht das Licht aus, und schon findet man sich umgeben von schwarzer Dunkelheit.
Dann knallt es, der Raum wird taghell und gleich wieder dunkel. Sanft dröhnt es von den Instrumenten her nach, dann knallt es erneut, und wieder ist der Raum für eine Minisekunde in gleissendes Licht getaucht. Explosion folgt auf Stille folgt auf Explosion, Licht folgt auf Dunkelheit, immer völlig unvermittelt. Bald dröhnen dem Zuschauer die Ohren.
Die extremen Bedingungen, unter denen dieser Film entstand, waren keine Seltenheit in Cripps‘ Schaffen. Wenn man nach der Visionierung zurückgeht durch die Ausstellung, die zu grössten Teilen aus dokumentarischem Material wie Zeichnungen oder Fotografien besteht, so versteht man noch besser, wie dieser Mensch tickte.

Bloss nicht geräuschlos
Cripps liebte alles, was Geräusche machte. Maschinen, Raketen, Düsenjets, Instrumente. Seine Performances waren nie still, und nicht wenige waren gar nicht realisierbar. Eine grosse Orgel zum Beispiel, deren Pfeifen aus leeren Raketenhüllen bestanden hätte, durch die der Wind pfiff. Ein Tanz für Helikopter und Jets. Oder die «Floating Fire Machine» – ein Schiff, beladen mit Unmengen von Feuerwerkskörpern.

Stephen Cripps, Floating Fire Machine, 1975
Stephen Cripps, Floating Fire Machine, 1975

Cripps selber glaubte an eine mögliche Verwirklichung seiner Werke, das belegt etwa der schriftliche Briefverkehr mit der Hafenaufsicht von London, die der Realisierung der «Floating Fire Machine» aus Sicherheitsgründen den finalen Riegel schob.

Anderes hingegen wäre heute nicht mehr möglich, schon gar nicht in Galerieräumen, wurde von Cripps aber noch realisiert. Dazu gehörte die «Burning Xerox Machine» von 1978, ein umfunktionierter Fotokopierer, der solange Papier ausspuckte, das von einer Gasflamme sogleich entzündet wurde, bis das Feuer auf die Maschine übergriff und diese sich selbst zerstörte. Auch liess Cripps das Publikum in einer «Shooting Gallery» mit einer modifizierten Pistole auf klangerzeugende Objekte wie ein Xylophon schiessen. Oder aber er liess Schokokuchen explodieren und diverses mehr, so dass das Publikum von Krümeln oder Splittern getroffen wurde.

All dies liest sich nun, als wäre Cripps ein Maniac gewesen. Ein bisschen verrückt war er wahrscheinlich. Aber immerhin so schlau, sich zum Feuerwehrmann ausbilden zu lassen. Wer sich nun die unzähligen Dokumente im zweiten Obergeschoss des Museum Tinguely zu Gemüte führt, der sieht auch, dass mehr in Cripps steckte, als dieser Text bis hierhin vermuten lässt – er hinterliess mehr als Schall und Rauch.

Laute Performances, leise Zeichnungen
Für die Ausstellung hat Kuratorin Sandra Beate Reimann auf den Nachlass des Künstlers zurückgreifen können, der sich im Henry Moore Institute in Leeds befindet. Darin gibt es, obwohl viele Werke aufgrund ihres ephemeren Charakters nicht mehr vorhanden sind, immer noch vieles zu entdecken über Stephen Cripps, der heute nahezu unbekannt ist, 1980 aber als vielversprechender britischer Künstler gehandelt wurde.

Seine Performances mögen grosse, laute und aufmerksamkeitsheischende Erlebnisse gewesen sein, die Zeichnungen und Entwürfe, die dafür entstanden, sind dagegen leise, teilweise sehr ausgefeilte kleine Kunstwerke.

Stephen Cripps, ohne Titel, (Photo Copier), 1978
Stephen Cripps, ohne Titel, (Photo Copier), 1978

Cripps‘ Zeichnungen in Bleistift, Tinte oder Gouache sind mit Kommentaren versehen, genauen Anweisungen, wie die Performances ausgeführt werden sollten. Ergänzt hat er sie mit Collagen und anderen Materialien: Wachs, Kohle oder auch Sand finden sich auf den papiernen Arbeiten.

Summen, rauschen, plätschern
Daneben gibt es im Museum Tinguely «Sound Works» zu hören. Teilweise rauschen und summen sie aus einer Ecke eines Ausstellungsraumes, viele aber kann man sich an Kopfhörerstationen genauer anhören. Dort plätschert es, Haare werden gekämmt, es quietscht eine Tür. Und bald wird klar, dass Cripps sein Gehör auf alles richtete, was Geräusche machte. Er interessierte sich für mechanische und urbane Klänge ebenso wie für instrumentale und erforschte deren Einfluss auf den umgebenden Raum und den menschlichen Körper.
Cripps experimentierte mit den Elementen Feuer, Wasser und Luft und liess den Zufall in sein Werk. Er wusste dessen poetisches Potenzial auszuschöpfen: Überall, in den Zeichnungen genauso wie in den Geräuschaufnahmen, aber auch in seinen pyrotechnischen Performances, die nicht selten in der vollständigen Zerstörung eines Werkes mündeten.

«Stephen Cripps. Performing Machines» ist eine Kabinettausstellung aus kleineren Arbeiten, die in thematischen Clustern ohne scharfe Grenzen angeordnet sind. Es lohnt sich, Zeit zu investieren, zu lesen und auch zu hören, um den Kosmos von Cripps‘ Œuvre umfassend ergründen zu können. Und zu begreifen, dass alle Teile dieses Werks zusammengehören und ein grosses, medial übergreifendes Ganzes bilden.

  • Karen N. Gerig ist Kunsthistorikerin, hält sich nur zu gern in Museen auf und schreibt (nicht nur deshalb) seit 18 Jahren über Kunst, am liebsten in und um Basel. Zunächst für die Basler Zeitung und die NZZ, dann für die TagesWoche – und immer wieder auch für andere Publikationen. 

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