Catharina van Eetvelde – Ilk
bis 12.03.2017
Kunstmuseum Basel | Hauptbau
Mit der Belgierin Catharina van Eetvelde zeigt das Kupferstichkabinett im Kunstmuseum Basel eine Künstlerin, die sich mit dem Medium der Zeichnung einer Welt nähert, in der auch das Unberechenbare seinen Platz hat. Über das Zeichnen und den Umgang mit Materialien gewinnt Eetvelde Zugang zur Wirklichkeit und respektiert dabei gleichzeitig deren Undurchschaubarkeit. Auch die Bezugnahme auf Joseph Beuys ist unverkennbar.
Von Sibylle Meier
Wir alle haben unser Bewusstsein von der Realität dadurch entwickelt, dass wir dieser Welt «da draussen» als Subjekt begegnen und sie nach Begriffen ordnen, die wir erlernt haben: Mensch, Natur, Kultur, Technik. Catharina van Eetvelde hat diese ich-bezogene Haltung längst hinter sich gelassen und betrachtet die Welt aus einer Multiperspektive. Sie erlebt sie nicht als eine Ordnung, deren Gesetzmässigkeit sich aufgrund von berechenbaren und kausalen Zusammenhängen aufdrängt: «Ich handle verschiedene Möglichkeiten der Co-Existenz aus und erlebe Realität als vibrierendes, oszillierendes Prinzip.» Damit wendet sie sich ab von einer – vorwiegend durch die (männliche) Wissenschaft definierten – Objektivität und interessiert sich mehr für ein gleichberechtigtes Nebeneinander von verschiedenen Standpunkten, gewährt auch dem Unberechenbaren einen Platz und ist sich der Fragilität jeder Konstellation bewusst.
Wie ein Gedanke, der sich verflüchtigt, sind auch die Dinge dieser Welt nicht auf Ewigkeit angelegt. Die Erkenntnis, dass die traditionellen Wissenschaften mehr und mehr unser Denken bestimmen und einen freien Zugang zur Wirklichkeit versperren, hat sie dazu veranlasst, mit der Welt in Kontakt zu treten. Jedoch: Während wir die Dinge mittels der Sprache verhandeln, mögen sie noch so unterschiedlich, kontrovers oder unverständlich sein, so wie Sprache sich geradezu verflüssigt auf verschiedenste Themen, tritt Catharina van Eetvelde über das Medium der Zeichnung in Dialog mit der Welt. «Zeichnen ist ein Prozess des Offenlegens für mich, es ist eine Art von Sezieren, bei dem sich eine Vielzahl von heterogenen Identitäten herausschält», sagt die in Paris lebende Künstlerin. «Zeichnen ermöglicht mir, Gegensätzliches aufrechtzuerhalten. Es hilft Zuschreibungen zu umgehen, erlaubt Klassifizierungen aufzulockern und verschafft auf unterschiedlichen Ebenen Zugang zu einem Thema.»
Anstelle der Sprache wählt Catharina van Eetvelde die Zeichnung als Kommunikationsmittel, denn sie erlaubt ihr mehr Freiheit im Ausdruck. Ihre Linien lässt sie in den Raum wachsen, sie erscheinen mal digital, mal analog, sind mit Fäden gestickt oder hängen als Kabel im Raum.
Hinter der Komplexität ihres Werks steckt eine fundierte intellektuelle Auseinandersetzung. Als spezifische Funktion des Gehirns sei diese zwar hilfreich, meint die Künstlerin, aber sie funktioniere wie eine elliptische Bahn, die um ein Zentrum ausserhalb ihrer selbst drehe. Intellektuelle Reflexion verhalte sich wie ein «interstellarer Motor». Ihr eigentliches Werk jedoch sei das Nachdenken darüber, «wie ich möglichst nahe an den Ursprung der vielfältigen Zusammenhänge herankomme, um danach eine materielle Entsprechung für diese zu finden. Ich grenze eine Vielzahl von Variablen gegeneinander ab, um gerade dadurch ihre wechselseitige Verbindung zum Ausdruck zu bringen.» Entsprechend dem Ausstellungstitel «Ilk», was altenglisch so etwas Ähnliches wie «aus dem gleichen Holz geschnitzt» bedeutet, versteht Catharina van Eetvelde ihre Ausstellung denn auch als ein Netz von Zeichnungen, die alle miteinander in Beziehung stehen. Die ganze Ausstellung als ein einziges Werk. Durchwandern Besucher dieses Linien-Netz aus unterschiedlichsten Materialien, ist der Gedanke an einen Berufskollegen nicht fern, der wie kaum ein Künstler mit seinen Materialien verbunden war: Joseph Beuys. An ihm interessiert van Eetvelde «die Zurückhaltung, mit der Beuys den Materialien begegnete, um zu hören, was sie von sich aus zu sagen hatten». Aber auch das Zeichnen war für Beuys mehr plastischer Prozess als Beschreibung eines Motivs. In der Zeichnung legte er seinen Denk- und Entwicklungsprozess offen.
Catharina van Eetvelde zeichnet, seit sie denken kann. Das Zeichnen hat sie gefunden und nicht umgekehrt. Es ermöglicht ihr «das Zeitgenössische» – wie sie es nennt – einzufangen, in all seinen Facetten, Materialien und Erscheinungsformen. Wer sich einlässt auf ihr Werk, wird der Präzision, aber auch der Sinnlichkeit gewahr, mit der die Künstlerin zeichnerisch auf eine immer komplexer werdende Welt antwortet.