Die andere Sammlung– Hommage an Hildy und Ernst Beyeler
19.08.2007 – 06.01.2008 | Fondation Beyeler
Eine Hommage in Bildern oder Der vor dem gezogenen Hut gezogene Hut, gezogene Hut
Von Oliver Wick*
Die Erfindung der kubistischen Bildsprache geht oftmals mit einem wortwörtlichen Sprachwitz einher. So erweist Pablo Picasso in seinem 1908/09 gemalten vorkubistischen Stilleben Nature morte au chapeau dem bewunderten Paul Cézanne die Ehre. In einer sachlich bereinigten, von Henri Rousseau abgeleiteten Malmanier zieht er den Hut vor Cézannes Hut, einer Melone der englischen Businessmen, die wohl an die vom Vater auferzwungene Ausbildung Cézannes zum Bankier erinnern soll, bevor er seiner inneren Berufung zum Maler folgen konnte. Nicht von ungefähr kleidet Picasso dieses malerische Bekenntnis in die Form eines Stillebens, das bis hin zum opulenten Stoffmuster dem grossen Meister Reverenz erweist und damit jene Gattung verherrlicht, für die Cézanne unvergänglich in die Geschichte der Malerei eingegangen ist. Dass dies im Stile Rousseaus erfolgt, tut der Sache keinen Abbruch, im Gegenteil, in doppelter Weise wird auch diesem grossen «Naiven» alle Ehre erwiesen. Kein Bild könnte deshalb besser den Auftakt zu dieser Hommage in Bildern markieren, die wir für Ernst und Hildy Beyeler ausrichten, und in einem wahrlich bildlichen Sinne den Hut vor diesem unglaublichen Lebenswerk ziehen. Dies in der gemalten Form eines Picassos zu tun, ist angesichts seiner geradezu dominanten Stellung in beinahe jeder Situation dieses ungewöhnlichen Galeriealltags von unumstösslicher Richtigkeit. Seine Kunst war das Mass aller Dinge, Prüfstein und Ausdruck für höchste Qualität, aber auch – speziell bei dem von den Beyelers hochgehaltenen Spätwerk – Zeichen für ungestüm aufgewühlte Zeitgenossenschaft.
An die geschätzte 16 000 Kunstwerke, Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen sind in den vergangenen sechzig Jahren durch die Hände der Beyelers in der Bäumleingasse 9 in Basel gegangen, wo sie von 1947 an das zwei Jahre zuvor von Oskar Schloss übernommene Buchantiquariat in eine anfänglich kleine, noch stark antiquarisch geprägte Galerie umgewandelt haben. Schon der Versuch einer groben Auswahl erscheint unangemessen. Denn bei solch einer Fülle gibt es nicht nur weit mehr als einige wenige erlesene Bilder, die zum Vorzeigen geeignet wären, auch wäre es ebenso verfehlt, nur das herausragendste und somit wohl auch in einem merkantilen Sinne teuerste Gemälde auszuwählen, würde doch damit das Intime und Persönliche wie vielleicht auch das Unerwartete und Entlegene keine Berücksichtigung finden. Doch gerade darin manifestiert sich der Charakter, der diese erfolgreiche Kunsthandelstätigkeit auszeichnet und über die Jahre hinweg die ästhetische Vorauswahl, die für die Kunden getroffen wurde, entscheidend geformt und geprägt hat. Das hier im Dialog mit der eigenen Sammlung gezeigte Werkensemble, eben diese Andere Sammlung, ist somit selbst Frucht einer persönlichen Wahl und Autorschaft. Die vorgenommenen Setzungen, die Einzelwerke und Bildgruppen, aber auch die Auslassungen sind alle als Versuch zu werten, eine ebenso repräsentative wie in sich konsistente Würdigung in Form von Bildern zu realisieren. So war es weniger die Suche nach dem absoluten Meisterwerk – dem Chef d’Œuvre inconnu – oder die Anhäufung von Highlights möglichst vieler Künstler, die je gehandelt wurden, die dieses ausstellerische Unterfangen leiteten, sondern das Bestreben, die Kunstwerke in schlichter Selbstverständlichkeit in diese herrlichen Museumsräume von Renzo Piano hineinwachsen zu lassen. So fügen sich die Bilder von Monet, Gauguin, van Gogh, Cézanne, Bonnard, Rousseau, Picasso, Braque, Gris, Kandinsky, Mondrian, Miró, Léger, Matisse, Arp, Calder, Giacometti, Klee, Ernst, Dubuffet, Bacon, Pollock, Newman, Lichtenstein, Rauschenberg, Warhol und Kelly, alles in allem 140 Leihgaben und 80 Sammlungswerke, in überwältigender Schönheit zu einem veritablen Musée imaginaire und erinnern nicht nur an die vielen Ausstellungen der Galerie Beyeler, sondern lassen auch einige der Ausstellungsprojekte anklingen, die in den letzten zehn Jahren in der Fondation Beyeler realisiert werden konnten. Freilich, mit diesem Musée imaginaire wären noch viele Museen zu füllen, wie auch viele Bilder Eingang in die Museen dieser Welt gefunden haben. Die Dimensionen des Beyelerschen Kunsthandels haben das Legendäre längst überschritten und das Globale sowieso, denn es vergeht kaum ein Tag, an dem uns nicht in irgendeinem Verkaufskatalog Kunst mit der Provenienz Galerie Beyeler begegnet, und dem wird auch noch lange so sein.
So schliessen wir und rufen Ihnen beiden, Herr und Frau Beyeler, nochmals herzlichst zu: Chapeau! Und danke für diesen wunderbaren Ort lebendiger Begegnung mit Kunst, diesen grossartigen Arbeitsplatz und die prägende Herausforderung im Umgang mit Bildern von höchster Qualität.
* Oliver Wick ist Gastkurator der Ausstellung