Museum Tinguely | 02.09.2020 – 15.11.2020

Severine Fromaigeat ist Kuratorin der Ausstellung «Taro Izumi. ex».
Severine Fromaigeat ist Kuratorin der Ausstellung «Taro Izumi. ex».

Von Severine Fromaigeat

Taro Izumi betrachtet die Welt mit schalkhaftem Blick. Er beobachtet unsere Lebensweise und durchleuchtet dabei unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen, zur Natur und Tierwelt. So entstehen vielgestaltige, nicht klassifizierbare Werke, die – ausgehend von einer einfachen Grundidee und unter Zuhilfenahme von eher bescheidenen Mitteln – mit dem Absurden spielen. Im Laufe der Zeit hat er ein organisches Ökosystem, ein einzigartiges kreatives Universum geschaffen, das sich keiner bestehenden Kunstgattung zuordnen lässt. Die Medien Skulptur, Installation, Performance und Video greifen dabei ineinander. Diese Vielfalt wird auch in seiner Wahl der Materialien sichtbar: Holz, Stoffe, Alltagsgegenstände und eine Vielzahl an wiederverwerteten Elementen werden so zu auf den ersten Blick chaotischen, tatsächlich aber akkurat komponierten Konstruktionen. Bei der Begegnung mit diesem künstlerischen Ökosystem taucht man in ein visuelles sowie konzeptuelles Kaleidoskop ein.

Video als Medium als Spiegel als Bild als Bewegung als Objekt als Video

Das Medium, das sich am ehesten für die sofortige – und damit erneute – Transkription der erfundenen Aktionen von Izumi eignet, ist das Video. Er setzt es wie einen Kugelschreiber ein, der alles, was er beobachtet, festhält und überträgt. Als sein vorrangiges Medium kommt es in all seinen Installationen und Ausstellungen vor, in denen das bewegte Bild eine wesentliche semantische Rolle übernimmt.

In der Ausstellung im Museum Tinguely sind Bildschirme omnipräsent. Sie rhythmisieren die Räume, sie erstrecken sich auf dem Boden, krallen sich an der Decke und den Wänden fest oder schweben über den Köpfen. Die bewegten Bilder auf ihren verschiedenen Gestellen und Halterungen verwirren das Publikum: Sie fesseln, faszinieren und sättigen, indem sie die Aufmerksamkeit unentwegt auf sich lenken. Wer sich auf die Videoarbeiten von Taro Izumi einlässt, denkt unweigerlich an den von Lärm und Bildern überbordenden, urbanen Raum der Stadt Tokio, den manche Installationen nachzuempfinden scheinen.

Taro Izumi, Tickled in a dream ... maybe? (Detail), 2017, Filmstill
Taro Izumi, Tickled in a dream … maybe? (Detail), 2017, Filmstill

Die grösste multimediale Installation, die im Museum Tinguely gezeigt wird, ist eine Serie von Skulpturen und Videos von 2017: Tickled in a dream … maybe? Sie beruht auf Fotos von Sportlern – vor allem von Fussballern –, die akrobatische Bewegungen vollziehen. Ausgehend von Bildern spektakulärer Aktionen, wie zum Beispiel Volleyschüssen, Grätschen, kühnen Pirouetten eines legendären Schusses oder des Sprungs eines berühmten Basketballspielers, entwarf Izumi Vorrichtungen, die eine Simulation dieser Bewegungen auch Untrainierten ermöglichen. Als Hybride aus Möbelstück und Prothese, Sockel und Skulptur nehmen diese gebastelt wirkenden architekturalen Strukturen eine variierende Gestalt an, die – sowohl in formaler als auch in konzeptueller Hinsicht – an die interaktiven augenzwinkernden Arbeiten von Jean Tinguely (1925–1991) erinnern. Der Künstler versucht hier, das nicht Fassbare zu fassen: Bewegung, Zeit und Schwerkraft. 

Ausstellung als Gesamtkunstwerk

Taro Izumis Ausstellungen haben im Lauf der Zeit eine zunehmend immersive Dimension angenommen. Das Medium «Ausstellung» erlaubt dem Künstler nicht nur, die Räume zu bespielen, sondern auch ein Narrativ zu entwickeln. In den letzten Jahren hat er seine Arbeiten spezifisch auf die Orte, an denen diese gezeigt wurden, zugeschnitten. Die Ausstellung selbst ist für ihn ein Kunstwerk. Mithilfe der digitalen Technologie und durch den wiederholten Einsatz von Video, Streaming und Überblendung von Bildern, schuf er aus seinen Arbeiten ein komplexes, interaktives Netz. 

Für seine grosse Einzelausstellung im Museum Tinguely entwarf Taro Izumi jede einzelne Etappe wie einen lebendigen Organismus innerhalb der Ausstellung, die atmet, vibriert, sich bewegt, spricht, singt und leuchtet. Auf den Bildschirmen flackern kontinuierlich Lichter und es ertönen Geräusche; ein Theater ohne Zuschauer erwartet Besucher und Besucherinnen. Izumi erzählt uns von der Abwesenheit, der Leere und virtueller Präsenz, von Orten, die unzugänglich geworden sind. Dabei reflektiert er neue Arten des Verhaltens, die mit dem Aufkommen von Covid-19 entstanden sind. 

Mit Leichtigkeit und Ironie gelingt es Taro Izumi, vermeintlich antagonistische Universen miteinander zu vernetzen. Er bewegt sich zwischen den Welten, wechselt vom Organischen zum Technologischen, vom Technologischen zum Organischen, wobei er alles, was zwischen den beiden Bereichen angesiedelt ist, mit einbezieht. Auch wenn sie sich jeglicher Zuordnung widersetzt, erinnert seine Ästhetik an die Idee der «totalen Kunst».

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