Klassizismus bis Moderne – Zeichnerische Positionen des 19. Jahrhunderts
03.02.2007 – 24.06.2007 | Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett

Das Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel zeigt zeichnerische Positionen des 19. Jahrhunderts

Von Anita Haldemann*

Georges Seurat, Une Promeneuse, um 1884/86
Georges Seurat, Une Promeneuse, um 1884/86
Die Zeichnung des 19. Jahrhunderts umfasst eine Vielfalt von Formen und Funktionen. Sie war nicht nur Grundlage der künstlerischen Ausbildung, sondern stand im Zentrum der Vermittlung akademischer Werte. Deshalb war die Zeichnung auch der privilegierte Ort, wo ein Künstler seine kritische Haltung gegenüber der akademischen Tradition zum Ausdruck bringen und Stellung beziehen konnte. Bereits mit Overbeck und anderen Nazarenern am Anfang des Jahrhunderts begannen Künstler auf selbst gewählte Vorbilder zurückzugreifen. Um eigene Positionen entwickeln zu können, mussten sie sich einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Mediums Zeichnung stellen. Anhand von Skizzen, Studien und bildmässig ausgearbeiteten Zeichnungen zeigt die Ausstellung, wie Traditionen aufgenommen und für neue Ziele umdefiniert wurden. Das Kopieren nach alten Meistern, das zur akademischen Ausbildung gehörte, wurde von Künstlern wie Cézanne zum Beispiel als «kreatives Kopieren» praktiziert, um eigene künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln. Die Geschichte der Zeichnung im 19. Jahrhundert ist so vielfältig, dass sie sich auch nicht innerhalb eines Landes auf eine allgemein gültige Entwicklung festlegen lässt. Während am Anfang des Jahrhunderts mit Klassizismus, Romantik und den Nazarenern noch grössere Entwicklungsstränge auszumachen sind, entfalten sich im Verlaufe der Jahrzehnte immer stärker individuelle Positionen mit Menzel, Marées, Böcklin und Hodler, über Redon, Seurat und Cézanne bis Picasso. Dennoch gibt es auffällige Tendenzen: Neben Studien von Friedrich, Böcklin, Leibl oder Feuerbach, die der Vorbereitung von Gemälden dienten, gibt es vermehrt die autonome und sogar bildmässig durchgearbeitete Zeichnung, so bei Calame, Menzel, Redon und Seurat. Andererseits finden sich die eher persönlichen, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten zeichnerischen Recherchen von Delacroix, Marées oder Cézanne. Die Zeichnung wird im 19. Jahrhundert auch immer wieder hinterfragt. Das Skizzenhafte, das seit dem 18. Jahrhundert in Zeichnungen besondere Wertschätzung erfuhr, wurde durch die Maler im Rahmen der Ästhetik des Non-finito in Anspruch genommen. Die
exakte Naturstudie fand eine neue Konkurrenz in der Fotografie, die in den 1830er Jahren erfunden wurde. Dies sind nur zwei der wichtigsten Aspekte, die zeichnende Künstler zwangen, zwischen diesen neuen Herausforderungen ihre persönliche, den eigenen künstlerischen Bedürfnissen entsprechende Form zu finden. Der Bogen der Ausstellung wird absichtlich grosszügig vom Klassizismus um 1800 bis zum jungen Picasso 1907 gespannt, denn ihm gelang es dank seiner Auseinandersetzung mit dem klassizistischen Werk von Ingres, sein spätsymbolistisches Frühwerk abzuschliessen und den Kubismus einzuleiten. Die Ausstellung vernachlässigt geografische Grenzen, indem sie französische, deutsche und schweizerische Künstler nebeneinander zeigt, auch wenn sich die Künstler zum Teil gar nie begegnet sind oder ihre Werke gegenseitig nicht kannten. Die Nachbarschaft ermöglicht aber spannende Vergleiche, kann unerwartete motivische Gemeinsamkeiten, stilistische Parallelen oder auch Unterschiede deutlich werden lassen, so zum Beispiel zwischen Fohr und Ingres, Böcklin und Redon, Marées und Cézanne, Cézanne und Böcklin. Die 109 Zeichnungen von 50 Künstlern und einer Künstlerin stammen ausschliesslich aus der Sammlung des Basler Kupferstichkabinetts, deren bemerkenswerte Vielfalt und hervorragende Qualität in der Auswahl zum Ausdruck kommt. Die Sammlung der Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert wuchs nicht in allen Bereichen gleichmässig, und so ergeben sich auch in der Ausstellung Schwerpunkte (Koch, Böcklin, Redon, Cézanne, Marées, Hodler). Im Vordergrund steht aber die Vielfalt von Möglichkeiten des zeichnerischen Ausdruckes zwischen Tradition und Moderne.

* Anita Haldemann ist Konservatorin am Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel

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