Von den Wandlungen des Eros

EROS – in der Kunst der Moderne
08.10.2006 – 18.02.2007 | Fondation Beyeler

Der zweite Teil des «EROS»-Projekts in der Fondation Beyeler zeigt «EROS in der Kunst der Moderne»

Von Ulf Küster*

Nach der erfolgreichen ersten Ausstellung zum Thema «EROS», die sich den beiden Giganten Rodin und Picasso und ihren erotischen Obsessionen zu nähern versuchte, folgt nun der umfassende Überblick über «EROS in der Kunst der Moderne». Das bedeutet nicht nur mehr Künstler, eine grössere Varietät der Darstellungen und mehr Möglichkeiten der Herangehensweise an das schwierige Thema Eros. Dieses Mal sind auch mehr und unterschiedliche Techniken zu sehen: Neben Zeichnungen, Gemälden und Plastiken werden auch Videos und Rauminstallationen ausgestellt. Gleich geblieben ist unsere Absicht, unserem Publikum nicht nur aufregende Kunst in unterschiedlicher erotischer Deutlichkeit zu präsentieren, sondern auch zu versuchen, die vielleicht wichtigsten Fragen, die unser Projekt aufwirft, zu beantworten: Warum ist das Thema Eros für Künstler so faszinierend, warum ist gerade dieses Thema einer der Hauptantriebe für die Kunst schlechthin? Anders gefragt: Warum versuchen Künstler ständig, etwas darzustellen, was doch eigentlich gar nicht möglich ist, etwas, das jeder Mensch anders erlebt?
Anhand dreier Beispiele seien hier verschiedene Sichtweisen, verschiedene Verarbeitungsweisen des Themas vorgestellt, wobei zeitlich ein Bogen geschlagen wird vom Anfang des 20. Jahrhunderts über ein Werk des Surrealismus aus den 40er Jahren bis zu einer Arbeit zeitgenössischer Kunst. Natürlich kann nur der Besuch der Ausstellung selbst und die Auseinandersetzung mit den dort präsentierten Werken einen annähernd ausreichenden Überblick über die vielen Möglichkeiten von Eros inspirierter Kunst geben.
Eines der frühen Meisterwerke in der Ausstellung ist Pierre Bonnards Gemälde eines Paares «L’Homme et la Femme» aus dem Jahr 1900, ausgeliehen vom Musée d’Orsay in Paris. Bonnard, oft unterschätzt und erst kürzlich wieder durch eine Retrospektive im Musée l’Art moderne de la Ville de Paris gefeiert, war nicht nur ein grossartiger Kolorist, sondern auch ein Meister der Darstellung von psychologischen Nuancen. Zu sehen ist eine eigentlich unspektakuläre Situation: Ein Mann und eine Frau, sie ist nackt und hockt auf einem Bett, vor sich hin starrend, er steht neben ihr und ist fast ganz entkleidet; offenbar streift er gerade noch sein Hemd ab. Sein Gesichtsausdruck ist indifferent, aber eher ernst als fröhlich. Beide sind durch eine Art Paravent voneinander getrennt, und doch sind sie auf dem Bild zusammen als Paar zu erkennen. Soll dies eine Bordellszene sein? Ist das der Blick in ein «normales» Schlafzimmer? Das ist nicht entscheidend; aber es drängt sich der Eindruck der Fremdheit auf, die zwischen dem Mann und der Frau herrscht. Sollte es Bonnard hier gelungen sein, in einem Bild das Gefühl der plötzlichen Scham vor des anderen Nacktheit zu zeigen, das so präsent sein kann, wenn man das erste Mal mit einem geliebten und begehrten Partner intim wird? Und ist nicht gerade diese Situation, diese Mischung aus Erwartung – vielleicht sollte man sogar sagen: existenzieller Sorge – nicht zu Eros gehörig?
Ganz anders Max Ernsts wunderbares Gemälde «Napoleon in the Wilderness», das während des zweiten Weltkrieges entstanden ist und sicherlich auch als politisches Statement gegen Diktatur, gegen Hitler, gelesen werden kann. Ernst hat hier einerseits in seinem «Dschungelstil» die aus ineinander verlaufenden Farbschlieren komponierten, algenartig grünen Figuren gemalt, aus deren einer sich offenbar eine schöne nackte Frau schält, die eine Art pflanzliches Saxofon zu spielen scheint. Andererseits sieht man eine Zone konventioneller Malerei: den blauen Himmel, der die Illusion von Weite und Raum erzeugt. Die Figur links erinnert in ihrer Haltung an populäre Darstellungen von Napoleon. Sie zeigt gewissermassen den von Moos und Algen schon ganz überwachsenen Kaiser, der sich offenbar verirrt hat. In «the Wilderness» hat nämlich ein Napoleon nichts zu suchen. Sollte er von der schönen Frau als einer Art Hexe Lorelei in den Dschungel gelockt worden sein, aus dem er nie mehr wieder herausfinden wird? Oder ist die Schöne Sinnbild des alle Diktatoren überlebenden und ad absurdum führenden weiblich-menschlichen Prinzips?
Das dritte Werk, das hier stellvertretend für die ganze «EROS»-Ausstellung vorgestellt werden soll, ist die Arbeit eines Zeitgenossen, Jeff Koons’ «Woman in Tub». Koons, bekannt durch mancherlei Skandale, die er geschickt für sich zu nutzen wusste, ist ein Virtuose darin, sein Publikum auf falsche Fährten zu locken. Die Verwendung von Allerweltsmaterialien, in diesem Falle von Porzellan, das freie Jonglieren mit Kitsch, mit Allerweltsbildern und -gefühlen machen ihn zu einem der bedeutendsten Künstler der Post-Popart. Was ist zu sehen? Eine nackte Frau, die im Schneidersitz in einer Badewanne hockt. Mit beiden Händen hält sie ihre fülligen Brüste, und zwar so, dass ihre Brustwarzen gerade zwischen ihren Fingern erscheinen. Unterhalb des Bauchnabels scheint Wasser zu brodeln, wie in einem Jacuzzi-Bad. Ihr Gesicht und ihr Kopf sind oberhalb des geöffneten, rot geschminkten Mundes abgeschnitten. Sie scheint keine Personalität zu haben. Ist sie hier also zu einem Objekt reduziert? Oder geht es grundsätzlich um die Darstellung von Emotion – ist sie erschreckt oder sexuell erregt von dem, was da unter ihr brodelt? Was das ist, ist freilich nicht genau zu erkennen. Jedem Betrachter bleibt eine eigene Interpretation überlassen, wie jeder Besucher unseres Überblicks über «EROS in der Kunst der Moderne» seine eigenen Schlüsse ziehen kann und soll. Eros bewegt uns alle; Eros regt uns alle an, und das Phänomen Eros bleibt das Agens der Welt und damit auch der Kunst.

* Ulf Küster ist Kurator der Fondation Beyeler

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