Kunstmuseum Basel | Gegenwart
25.05.2024 – 27.10.2024
Wie haben Künstler:innen des afrikanischen Kontinents und seiner Diaspora den Alltag in den letzten 100 Jahren erlebt und künstlerisch verarbeitet? Um diese Frage zu beantworten, unternahmen Koyo Kouoh, Direktorin des Zeitz MOCAA im südafrikanischen Kapstadt, und Tandazani Dhlakama, Kuratorin am Zeitz MOCAA, eine intensive Recherche. Das Resultat ist eine umfassende Schau mit Werken von 156 Künstler:innen. Im Frühsommer kommt sie ins Kunstmuseum Basel. Koyo Kouoh, Tandazani Dhlakama und Maja Wismer, Kuratorin für Gegenwartskunst am Kunstmuseum Basel, erzählen, warum die Ausstellung wichtig ist.
Wie entstand die Ausstellung «When We See Us»?
Koyo Kouoh (KK): Die grundlegende Motivation war, die Figuration als eine der ältesten Stilrichtungen des kunsthistorischen Kanons zu betrachten. Darüber hinaus hat mich das Wiederauftauchen der Schwarzen Figuration in den letzten zehn Jahren sehr fasziniert, vor allem auf dem Kunstmarkt. Auf Kunstmessen muss heute jeder Stand mindestens eine Schwarze Position zeigen. Vielleicht verärgert mich das auch ein bisschen. Jedenfalls war ich neugierig, wie das den Blick, die Sichtbarkeit und die Aufmerksamkeit für das Leben der Schwarzen beeinflusst. Ich war auch daran interessiert, das zu erforschen, was ich parallele Ästhetik nenne. Dabei geht es darum, Künstler:innen aus unterschiedlichen Schwarzen Regionen zu finden, die zu denselben Themen gearbeitet haben, ohne voneinander zu wissen. Zum Beispiel Romare Bearden, ein afroamerikanischer Künstler derselben Generation wie George Pemba, ein südafrikanischer Künstler, die beide Werke über den Alltag der Schwarzen geschaffen haben. Oder Chéri Samba und Barclay L. Hendricks: Dieselbe Generation, dieselbe Art von Stimmung in ihrer Arbeit. Aber niemand hatte sie je zusammengebracht.
Tandazani Dhlakama (TD): Ein zentraler Aspekt der Ausstellung ist auch die Idee der Schwarzen Freude. Es gab schon viele grossartige und wichtige Ausstellungen, die das Thema «Blackness» in den Fokus nahmen, aber sie zeigten vor allem Traumata oder Aspekte des Kolonialismus. Wir wollten stattdessen sehen, wie Schwarze Künstler:innen sich selbst aus einer Perspektive der Freude darstellen. Wir wollten das Alltägliche und die Kraft des Banalen zeigen, um die
Stereotypen von Not und Elend zu durchbrechen.
War immer klar, dass Sie Künstler:innen aus der ganzen Schwarzen Diaspora zeigen werden?
KK: Absolut. Von Anfang an. Bei Gruppenausstellungen werfen wir immer einen 360°-Blick auf Schwarze Geografien.
Die Ausstellung zeigt, dass es für die Künstler:innen weltweit die gleichen Themen gibt. Wussten Sie das, als Sie mit der Recherche anfingen?
KK: Ja, und ich wollte sie zusammenbringen. Es geht nicht nur um die Themen in den Werken. Es geht auch um die Formen, Stile und Farben und um die verschiedenen Kontexte, aus denen diese Werke entstanden sind.
TD: Wir haben uns auch mit Schulen und historischen Schlüsselmomenten befasst. Bei unseren Recherchen hörten wir Geschichten, wie sich einige der Künstler auch wirklich getroffen haben. Aber das Publikum bringt sie normalerweise nicht miteinander in Verbindung.
Gab es etwas, das Sie bei Ihren Recherchen überrascht hat?
TD: Für mich hat sich bestätigt, dass wir viel mehr tun müssen, um die Frauen in die Kunstgeschichte einzuschreiben. Wenn man sich die Werkauswahl chronologisch anschaut, gibt es in der zeitgenössischen Kunst viel mehr Frauen als in der Moderne, obwohl Künstlerinnen schon immer gearbeitet haben.
KK: Die Recherchen bestätigten die Erkenntnis, dass das Leben der Schwarzen zu jeder Zeit und an jedem Ort von mehr oder weniger ähnlichen, wenn nicht gar denselben Prinzipien bestimmt wird – ob in Brasilien, Kuba, den USA, im Kongo oder im Senegal. Auf dem Kontinent, so könnte man argumentieren, gibt es nicht die gleiche Art von Diskriminierung oder Segregation – mit Ausnahme Südafrikas, natürlich. Aber wie Tandazani schon sagte, war das sozusagen die erste Prämisse: keine Stereotypen, kein Leid, keine Rassenfragen. Denn wir wollten wirklich die Fröhlichkeit in den Mittelpunkt stellen, den Alltag, den Triumph und die Sinnlichkeit. Sogar Toni Morrisson hat gesagt, dass wir nicht die ganze Zeit an Krisen festhalten können. Wir brauchen Freude. Wir brauchen Liebe. Wir brauchen Lachen.
Ist diese andere Perspektive auch ein Grund, warum es für Sie wichtig war, dass diese Ausstellung noch weitere Stationen hat?
KK: Eine Ausstellung dieser Grössenordnung war von Anfang an als Wanderausstellung gedacht. Und das Kunstmuseum Basel war das erste Museum, das sich darauf eingelassen hat.
Warum ist diese Ausstellung für das Kunstmuseum Basel wichtig?
Maja Wismer (MW): Ich erlebe ebenfalls, dass immer mehr Schwarze Künstler:innen auf dem Markt und in anderen Institutionen präsent sind. Und als ich dann hörte, dass das Zeitz MOCAA eine Ausstellung vorbereitet, die auf die Bildtraditionen und die Entwicklung der Ikonografien zurückblickt, war mein Interesse geweckt. Denn das Kunstmuseum Basel als Institution ist fast 500 Jahre alt, und wir haben immer versucht zu verstehen und zu vermitteln, wie eine bestimmte Strömung in der Kunstgeschichte verwurzelt ist. Das zu zeigen und für unsere Besucher:innen erlebbar zu machen, sehen wir als unsere Aufgabe an.
Ändert sich in Basel an der Schau im Vergleich zu Kapstadt viel?
MW: Wie unsere Kolleg:innen in Kapstadt arbeiten wir mit der Architektin Ilze Wolff und ihrem Team. Entsprechend wird die Ausstellung denselben Look haben. Unsere Aufgabe besteht vor allem darin, die Ausstellung und ihre Inhalte für das Basler Publikum aufzubereiten.
Vielleicht können wir über das «Wir» im Titel sprechen. Sprechen Sie aus der Perspektive der Künstler:innen?
KK: Nicht wirklich. Inspiriert wurde ich von Ava DuVernays
Netflix-Serie When They See Us, in der es um fünf junge Schwarze Teenager geht, die von einer weissen Frau zu Unrecht beschuldigt wurden, sie 1989 im New Yorker Central Park verprügelt und vergewaltigt zu haben. Die Umkehrung von «sie» in «wir» ändert die Perspektive und bietet eine grossartige Plattform für Gegenargumente; aus dem Blickwinkel heraus, dass das Leben von Schwarzen immer wieder kodifiziert, konditioniert und von anderen in einer Weise dargestellt wurde, die herablassend und meistens völlig falsch ist. Wir sprechen immer über sie – sie sind meistens die Weissen. Darüber, wie sie uns sehen, wie sie uns ansehen. Ich wollte ein Schlupfloch schaffen, eine Pause in diesem Narrativ, egal wie gültig es noch ist. Wir müssen viel mehr über uns selbst sprechen, auf eine Art und Weise, die unseren Geist beflügelt. Es versteht sich von selbst, dass wir uns nicht nur durch das Prisma von Trauma, Gewalt und Krise sehen. Ich persönlich bin süchtig nach der Freude an Schwarzen Kulturen, die meines Erachtens unvergleichlich und ebenso politisch ist wie all die Rassismuserfahrungen.
TD: When We See Us ermöglicht es den Menschen, vor allem den Schwarzen, sich selbst auf eine Weise zu sehen, die feierlich, kraftvoll und würdevoll ist. Für mich ist das schon genug. Wir sind uns der Komplexität von «Blackness» durchaus bewusst, aber wir wollten einfach sehen, wie die Malerei den Menschen helfen kann, sich auf Aspekte zu konzentrieren, die der Markt und die Medien ausblenden.
KK: Diese Ausstellung ist unsere Liebeserklärung an die Malerei.
Das Zeitz MOCAA ist aktuell in der Schweiz mit einer weiteren Ausstellung präsent: Mit Tracey Rose im Kunstmuseum Bern. Ist das nur ein Zufall?
KK: Das war überhaupt nicht geplant. Aber ich glaube nicht an Zufälle. Es ist eine längst überfällige Heimkehr für mich. Trotz meiner internationalen Tätigkeit habe ich erstaunlicherweise nie Ausstellungen in der Schweiz kuratiert, wo ich viele prägende Jahre verbracht und lange Zeit gelebt habe. Wenn ich jetzt diese Ausstellungen als Museumsdirektorin aus Südafrika in die Schweiz bringe, schliesst sich sozusagen der Kreis: mit meiner persönlichen und beruflichen Reise und der ständigen Bereicherung durch all die Orte, an denen ich gelebt und gearbeitet habe und von denen die Schweiz ein sehr wichtiger Teil ist. Es ist ein Zufall, der kein Zufall ist. Ich glaube an Energien. Es stand in den Sternen geschrieben. ◀
Interview Karen N. Gerig und Olivier Joliat,
Kommunikation Kunstmuseum Basel