Wolfgang Tillmans
28.05.2017 – 01.10.2017
Fondation Beyeler
Von Rahel Schrohe*
Die Fondation Beyeler widmet ihre Sommerausstellung Wolfgang Tillmans, dem grossen Künstler des Zeitgenössischen. Seit den frühen 1990er-Jahren hat Tillmans (*1968 in Remscheid, Deutschland) mit einer beachtlichen öffentlichen Präsenz Bilder geschaffen, die nicht nur in Kunstinstitutionen ausgestellt, sondern auch in Zeitschriften, auf Plattencovern oder zum Zwecke politischer und sozialer Kampagnen publiziert wurden. Über die Jahre ist ein Œuvre entstanden, das in dieser Vielfalt und Gegenwärtigkeit seinesgleichen sucht. Tillmans arbeitet fast ausschliesslich mit fotografischen Mitteln, wobei er stets die Grenzen des Mediums auslotet und immerzu bestrebt ist, diese zu erweitern.
Neben figurativen Arbeiten, die den klassischen kunsthistorischen Genres des Porträts, des Stilllebens oder der Landschaft zuzurechnen sind, entstehen abstrakte Werke. Tillmans schöpft die technischen Möglichkeiten der Bildproduktion aus: Auf eine Kamera verzichtend, bedient er sich des Fotokopierers, experimentiert in der Dunkelkammer und manipuliert das Fotopapier mit farbigem Licht oder mit Chemikalien. Von Beginn an hat er eine spezifische Art der Präsentation seiner Arbeiten entwickelt, in der mehrere unterschiedlich grosse Bilder, gerahmte wie ungerahmte, zu wandfüllenden Ensembles komponiert werden. In jüngster Zeit stösst er darüber hinaus in neue Bereiche vor: Er schafft Rauminstallationen, in denen man regelrecht von Klang und Bild gefangen genommen wird.
Bereits seit 2014 befinden sich 13 Werke von Wolfgang Tillmans in der Sammlung der Fondation Beyeler. Sie spiegeln die Breite seines Œuvres wider und können in ihrer Gesamtheit als Raumkomposition präsentiert oder einzeln gehängt werden. Die Sammlung der Fondation Beyeler setzt sich aus herausragenden Einzelwerken der klassischen Moderne und der Gegenwart zusammen. Sie bietet daher ein ideales Umfeld, um Tillmans’ Bildfindungen mit einem anderen Blick zu betrachten.
Für die Ausstellung wurden rund 200 fotografische Arbeiten aus den Jahren 1986 bis 2017, also aus allen Schaffensperioden, ausgewählt. Zudem hat der Künstler eigens für die Räume der Fondation Beyeler eine neue audiovisuelle Installation entwickelt. In ihrer breiten thematischen Auffächerung und spezifischen Anordnung werden diese Werke einen neuen Zugang zu Tillmans’ Œuvre eröffnen. Wolfgang Tillmans ist es gelungen – das wird die Ausstellung zeigen –, dem fotografischen Medium eine wirkungsvolle, autonome Bildsprache einzuschreiben.
Was ist es, das Tillmans’ Bilder in all ihrer Unterschiedlichkeit verbindet? Eine Auswahl von drei Werken soll Aufschluss geben. Die Detailansicht zweier blauer Stoffe wird in der Vergrösserung zu einer Landschaft, die den Blick über drapierte, plastische Oberflächenstrukturen lenkt. Der starke seitliche Lichteinfall formt den Stoff, betont dessen Taktilität und Materialität und lässt sonnenbeschienene Erhebungen und im Schatten liegende Täler entstehen. Mit dem Bildtypus der sogenannten
Faltenwürfe übersetzt Tillmans die Dreidimensionalität des Abgebildeten in zweidimensionale Bilder. Dabei gelingt es ihm, die Stofflichkeit zu erhalten und auf dem flachen Fotopapier sinnlich erfahrbar zu machen.
In Faltenwurf (Pines), a, 2016, offenbart sich jene spezifische Sensibilität und Fragilität, die fast allen Werken Tillmans’ zu eigen ist – ganz gleich ob es sich um die Darstellung einer zarten Körperstelle handelt, um eine freigelegte Hautpartie etwa, um die fast abstrakte Erscheinung eines umgeschlagenen Papiers oder, wie hier, um das weiche Fallen eines Stoffs. Die Identifizierung des Gegenstands, die Frage nach dem, was tatsächlich abgebildet wird – eine Hose, eine Jacke? – rückt in den Hintergrund. Vielmehr geht es darum, wie etwas gezeigt wird. Tillmans eröffnet, die eigene, aufmerksame Beobachtung zugrunde legend, einen sensiblen Blick auf das Alltägliche und scheinbar Altbekannte. Er lenkt unsere Achtsamkeit auf das noch kaum Wahrgenommene, etwa das Spiel des Lichts im Volumen der Stoffe, die die eigene oder fremde Haut umhüllen.
Zufallsoperationen sowie ein radikaler Umgang mit dem Bild-
träger sind für Tillmans willkommene Mittel, um gegenstandslose Kompositionen zu schaffen. Die Gruppe der Greifbar-Arbeiten entstand ohne Kamera in der Dunkelkammer, so auch Greifbar 1, 2014. Mit Licht manipulierte Tillmans gestisch das Fotopapier, woraus ein abstraktes, malerisches Werk hervorging. Die Greifbar-Arbeiten verleiten das menschliche Auge dazu, etwas Reales im scheinbar fotografierten Bild erkennen zu wollen, einen Verweis auf die Wirklichkeit – was sich freilich als eine Illusion entpuppt.
Im Zentrum von Tillmans’ Schaffen steht nicht die Fotografie im klassischen Sinne, sondern das Gestalten beispielloser Bilder. Jede seiner Arbeiten offenbart den aufmerksamen, freien Blick des Künstlers, der sich seinem Material und der jeweils zum Einsatz gelangenden Technik mit Neugier und Präzision zuwendet. Schliesslich ist nicht der abgebildete Gegenstand das Entscheidende, sondern die Art und Weise, wie er gezeigt und somit zum Bild wird.
Im Vorfeld der Ausstellungsvorbereitungen sagte Wolfgang Tillmans: «Man kann nicht alles visuell verstehen und erkennen, aber wenn man wirklich genau beobachtet, kann man schon viel über die Welt erfahren.»
*Rahel Schrohe ist kuratorische Assistentin der Fondation Beyeler