Zwischen den Bildern lesen: visuelle Kurzgeschichten

Kunstmuseum Basel
Basel Short Stories

10.02.2018 – 21.05.2018

Die Autorin Petra Schneider ist Kunsthistorikerin
Die Autorin Petra Schneider ist Kunsthistorikerin

Von Petra Schneider
Mit einem experimentell anmutenden Ausstellungskonzept präsentiert sich die Schau Basel Short Stories. Von Erasmus bis Iris von Roten im Kunstmuseum Basel. Ausgehend von sieben Persönlichkeiten – neben den im Titel genannten sind dies Maria Sibylla Merian, Jacob Burckhardt, Friedrich Nietzsche, Frick & Frack und Albert Hofmann – sowie Hans Holbeins Gemälde Der tote Christus im Grab (1521/22)  und dem Basler Friedenskongress von 1912, werden neun Kurzgeschichten vorgestellt, die alle in einem unmittelbaren Bezug zur Stadt Basel stehen.
Erzählt werden sie anhand heterogener Exponate, von Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen über Film und Fotografie bis hin zu Hörbeispielen aus Rock- und Popmusik. Dabei kommen die Objekte zum großen Teil aus der Sammlung des Kunstmuseums, aber auch andere Basler Museen und Privatsammlungen, Archive und Bibliotheken sind miteinbezogen. Altbekanntes hängt neben Unbekannterem oder noch nie Gezeigtem, Kunst neben Alltagsdokumenten oder pharmazeutischen Erzeugnissen.

Short Story 2: Holbeins toter Christus – Ausstellungsansicht. Foto Julian Salinas

Resonanzphänomene und Zufälle
Das Anliegen des Kurators Josef Helfenstein ist es, anhand der Abfolge von neun Ein-Raum-Ausstellungen, vergleichbar mit Kurzgeschichten in einem Sammelband, eine eklektische Kunst-, Ideen- und Alltagsgeschichte der Stadt Basel zu erzählen. Er baut dabei auf die subtile Resonanz zwischen Werken, die in unmittelbarer Nähe ausgestellt sind. So wird etwa Holbeins Toter Christus im Grab mit Charles Rays Aluminiumskulptur Mime (2014)  konfrontiert. Eine Paarung, die nahe liegt, bezieht sich doch schon Ray in seinem Text Notes on Sleeping Mime (2017) explizit auf Holbeins Gemälde und ruft in Erinnerung, dass Fjodor Michailowitsch Dostojewski angesichts des Bildes seinen Glauben verloren haben soll. Dies wiederum veranlasst den Kurator drei Ausstellungsräume weiter vermutlich, den Leuchtkasten A Donkey in Blackpool (1999) von Jeff Walls zu installieren, da Dostojewski in einem Brief überliefert, das Erste, was er bei einem Aufenthalt in Basel vernommen habe, sei der Schrei eines Esels gewesen. Durch diese Assoziationsketten soll der Ausstellungsbesucher zu einem offenen und experimentellen Sehen ermutigt werden und zugleich mit dem breiten kulturgeschichtlichen und epochenübergreifenden Ansatz die Entstehung der Sammlung des Kunstmuseums an sich zum Thema werden.

Kunstmuseum-Direktor Josef Helfenstein erläutert die Ausstellung. Foto Julian Salinas

Raid the Icebox
Mit seinem vielschichtigen Ausstellungskonzept knüpft Helfenstein zunächst an die von Künstlern kuratierten Sammlungsausstellungen an – eine der Ersten war Raid the Icebox 1 with Andy Warhol. An Exhibition Selected from the Storage Vaults of the Museum of Art, Rhode Island School of Design (1969). Warhol kreierte auf Einladung des Museums aus dessen Magazinbeständen ein installations- und kollagenartiges Ausstellungsensemble; von Gemälden und Skulpturen, über Hutschachtel und Regenschirmen bis hin zu Möbeln war alles vertreten. Mit der Auswahl der Exponate wurden die etablierten Hierarchien von historischer Bedeutsamkeit und Ästhetik infrage gestellt, denn Warhol imitierte mitunter die Aufbewahrungssituation, ließ Zettel mit Inventarnummer oder Schutzhüllen an ihrem Platz.  Die Basler Ausstellung jedoch ist museologisch aufbereitet, sämtliche Bilder und Objekte sind weitgehend traditionell präsentiert, erhellend beschriftet und auch sonst gut ausgeleuchtet. Der Bezugspunkt zu Raid the Icebox besteht vielmehr darin, dass, neben der Schatzsuche in den Magazinbeständen, zeitgenössische Künstler gleichsam als kuratorische Assistenz eingebunden werden. Silvia Bächli, Pipilotti Rist und Not Vital sind nicht nur mit eigenen Objekten in der Schau vertreten, sondern haben auch an der Gestaltung von Räumen und Werkgruppen mitgewirkt. Allerdings ist deren persönliche Handschrift in den betreffenden Arealen nicht immer unmittelbar lesbar, erweist sich doch die Gestaltung der einzelnen Ausstellungsräume, bei aller Heterogenität der darin gezeigten Objekte, als äußerst homogen.

Short Story 5: Nietzsche in Basel. Foto Julian Salinas

In dieser Hinsicht eine Ausnahme bildet vor allem der Friedrich Nietzsche gewidmete Raum im Erdgeschoss des Neubaus. Er ist nicht nur der Weitläufigste von allen, sondern hier versinken die Schritte der Museumsbesucher in einem dunkelgrünen, raumfüllenden Teppich, der Nietzsches in Sils Maria verwendete Tischdecke inklusive aller Verunreinigungen in großer Skala reproduziert, während über dem mit dem Philosophen assoziierten Sammelsurium – von antiker Keramik bis zu Eurythmieformen Rudolf Steiners –Nietzsches Schnauz (2017), von Not Vital in blutrotem Wachs geformt, hoch oben an der rückwärtigen Wand angebracht ist. Vermutlich im gleichen Maßverhältnis wie die zum Bodenbelag mutierte Tischdecke.

Poesie und Fiktion
Beim Arrangieren der einzelnen Exponate zu Themengruppen ließ sich Helfenstein von der in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in Amerika entstandenen und eng mit der Entwicklung des Zeitschriftenwesens verbunden Short Story inspirieren. Einer der ersten Vertreter der neuen Gattung, der auch eine ästhetische Theorie über das Ziel und die Methode von literarischen Kurzformen entwickelte, war Edgar Allan Poe. In seinem Essay The Philosophy of Composition (1846) forderte er neben der „unity of effect“, dass jeder Autor sich der Schritte, mit denen er seine Ergebnisse erzielt, bewusst ist, bedauerte aber, dass im Allgemeinen Einfälle in wirrem Durcheinander auftauchen und gleichermaßen weiterverfolgt wie vergessen werden. Mit dem Einführungstext im Begleitbuch zur Ausstellung legt Helfenstein zwar die einzelnen Entwicklungsstadien seiner Ausstellungskonzeption offen und gibt Auskunft über seine expansiven Ambitionen; gleichermaßen stringent ist die Umsetzung in den Bildergeschichten jedoch nicht immer. Dies mag mitunter daran liegen, dass zu viel gleichzeitig angeboten, also gewissermaßen die „Effekteinheit“ nicht gewahrt wird. Schon Poe fordert eine gewisse Vielseitigkeit und ein gewisses Maß an Mehrdeutigkeit, warnt aber auch davor, dass sich bei einem Übermaß an nahegelegter Bedeutung die Poesie zu Prosa der platteren Art verwandelt – bildlich gesprochen die ambitionierte Bildergeschichte zum Fotoroman.

Halluzinogene Erfahrungen
Wie mitunter in der Literatur nicht alle Kurzgeschichten in einem Sammelband gleichermaßen ansprechen, so verhält es sich auch mit den Basel Short Stories. Zu den gelungenen Geschichten gehört jene über den Chemiker Albert Hofmann, der aus einem Alkaloid eines giftigen Getreidepilzes, dem sogenannten Mutterkorn, das halluzinogene Lysergsäurediethylamid, kurz LSD, synthetisiert und 1943 im Selbstversuch erprobt hat. Ein Ereignis das Peter Fischli und David Weiss in ihrer Tonplastik Dr. Hofmann auf dem ersten LSD-Trip I (1981/2013) nachempfunden haben. Kombiniert werden andere, mitunter unter LDS-Einfluss entstandene Werke des zwanzigsten Jahrhunderts mit Zeichnungen, Druckgrafik und Gemälden des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, welche sich mit den Versuchungen und Peinigungen des Heiligen Antonius beschäftigen, denn die vom Mutterkorn hervorgerufene Vergiftung war auch unter dem Begriff „Antoniusfeuer“ bekannt und bringt die höllischen Qualen des Heiligen mit jenen des Vergifteten in Verbindung.

So kann sich der Besucher noch bis zum 21. Mai 2018 vom medial reichhaltigen Angebot der Ausstellung Basel Short Stories im Kunstmuseum Basel auf Ab- und Umwege durch die urbane Kunst- und Kulturgeschichte entführen lassen, oder aber stellenweise tiefer eintauchen, um zwischen den Bildern zu lesen und eigene Verknüpfungen anzustellen, wozu diese über die Jahrhunderte reichende Bild- und Dinggeschichte dieser Stadt allemal auffordert.

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