Der menschliche Körper, so wird oft gesagt, sei in Yngve Holens (*1982) Werk auffallend abwesend. Sein ganzes Œuvre jedoch ist durchzogen vom Einfluss des Körpers mit seiner Subjektivität, seinem Durcheinander und seinen Verflechtungen mit unserer auf Verbrauch ausgerichteten Kultur. Das zeigt sich in Holens beharrlicher Auseinandersetzung mit technologischen Entwicklungen, die unseren Alltag dominieren, vom Transportmittel über die Schönheitschirurgie hin zu Lebensmitteln. In seiner bislang grössten ins-titutionellen Ausstellung VERTICALSEAT stellt der norwegisch-deutsche Künstler eine Reihe an neuen Arbeiten vor, die genau diese Themen aufgreifen. Yngve Holen weiterlesen →
Marina Pinsky – Dyed Channel
Verlängert bis 17. April 2016 Kunsthalle Basel
Die Stadt Basel – der Rhein, ihre Architektur und Pharmaziegeschichte – dienen Marina Pinsky (*1986) als zentrales Thema, um für ihre erste institutionelle Ausstellung in der Schweiz, die auch ihre bislang grösste Einzelausstellung ist, eine traumähnliche Landschaft aus neuen Arbeiten zu schaffen. Die in Russland geborene und in Brüssel lebende Künstlerin verwendet historische Beispiele für Markenkennzeichnung, um die Politik, die hinter diesen Objekten und ihren Abbildungen steht, zu erforschen. In all ihren Arbeiten ist die Fotografie das entscheidende Instrument mit dem sie die Welt um sie herum einfängt. Pinsky entwickelt durch den Einsatz von Abgüssen, Dia-Shows und anderen Techniken der Reproduktion von Objekten und Bildern eine besondere Art der Fotografie, indem sie sich anderen Ausdrucksformen als den üblichen bedient. Unterstützt von der Israelitischen Gemeinde Basel.
Sam Lewitt
More Heat Than Light 01.04.2016 – 29.05.2016 Kunsthalle Basel
Von Sibylle Meier, Basel
Was machen wir hier eigentlich? Mit dieser Frage begrüsst Elena Filipovic, die Leiterin der Kunsthalle Basel, die Journalisten zur Medienkonferenz der neuen Soloshow More Heat Than Light. Wer die Kunsthalle Basel regelmässig besucht, der ahnt die Antwort: Filipovic möchte die Diskussion anregen, indem sie „ihre“ Institution performativ bespielt, sie verändert und dadurch neue Perspektiven eröffnet.
Mit dem kalifornische Künstler Sam Lewitt gelingt ihr das hervorragend, denn Lewitt denkt über Institutionen nach. Seine aktuelle Ausstellung setzt eine Bedeutungsebene frei, die über die ästhetische Wahrnehmung hinaus auf die soziale und gesellschaftliche Bedeutung einer Kunsthalle hinweist. Lewitt arbeitet nicht gegen die Institution. Er möchte sie aber stören, indem er in das „System Kunsthalle“ eingreift.
Ein wichtiger Teil dieses Systems ist die Beleuchtungstechnik. Um Kunst ins beste Licht zu rücken, ist eine ausgeklügelte technische Infrastruktur notwendig. Hier setzt Lewitt sein subtiles Werk an: Er zweigt kurzerhand die gesamte Beleuchtungsenergie ab und wandelt sie in Wärme um. Er beschneidet einen Teil der Kunsthallen-Infrastruktur und lässt die umgeleitete Energie fühlbar werden. Damit rückt er die Institution selbst ins Zentrum der Wahrnehmung.
Für More Heat Than Light hat Sam Lewitt im Oberlichtsaal die Beleuchtungskörper entfernen lassen. Durch lange, von der Decke hängende Kabel fliesst der Strom nun in hauchdünne, auf dem Boden liegende Heizkreisläufe. Die abgegebene Wärme entspricht also genau der Menge Energie, welche die Kunsthalle sonst in ihre Beleuchtungs-Infrastruktur steckt. Aber anstatt die Energie zu nutzen um die Kunst zu beleuchten, hat sie Lewitt der Institution geraubt, um damit sein Werk zu versorgen. Wärme statt Licht – sinnlich erlebbar.
Lewitt gefällt die Vorstellung, dass seine Werke den Ort prägen können. Aber damit nicht genug. Lewitt setzt sich mit der Frage auseinander, wie Informationsflüsse, aber auch Kapitalflüsse verlaufen. Wer die grafisch gestalteten Heizelemente genau studiert, der findet dezent eingraviert Schlagworte wie „get connected“ (verbindet euch), „custom profiling“ (individuelle Profilierung) und andere mehr. Es sind dies Leitsätze aus unserer globalisierten, standardisierten und kapitalistischen Welt im 21. Jahrhundert. Mit ihrer Hilfe sollen unsere Systeme am Laufen, aber auch im Gleichgewicht gehalten werden. Systeme, die möglicherweise in einem unsichtbaren, prekären Gleichgewicht sind. Sie müssen cool bleiben, damit sie nicht überhitzen. Das ist es, was Lewitt interessiert. Nicht von ungefähr hat er sich deshalb für seine Heizelemente einer Technik bedient, die im Alltag dafür sorgt, dass die Temperaturregulierung in Systemen im Gleichgewicht bleibt.
Dass ein wirtschaftliches Gleichgewicht kippen kann, erleben wir immer wieder. Derzeit sind es die Panama-Papers, die ein Geldwäsche-System ins Wanken bringen. Vor ein paar Monaten war es der VW-Abgas-Skandal, der die Welt in Atem hielt. Lewitt spielt in seiner Ausstellung bewusst auf diesen Skandal an, indem er seine Heizbänder über Motorblöcke von VW legt. Damit möchte er auf die scheinbare reibungslose, aber eben doch nicht wasserdichte Kommunikation eines Konzernriesen hinweisen. Die Blöcke stehen ein bisschen schräg in dieser an sich stringenten Ausstellung. Der direkte Zusammenhang mit dem Konzept der Energieumleitung scheint ein bisschen weit her geholt. Vielleicht ist die Erwähnung eines solchen Skandals in der Soloshow marketingtechnisch gewinnbringender, als es für die Ausstellung an sich nötig gewesen wäre.
Maryam Jafris (*1972) künstlerische Praxis ist an der Schnittstelle zwischen Kulturanthropologie und Konzeptkunst angesiedelt. Eine neue Serie, welche die in Pakistan geborene Künstlerin neben älteren Arbeiten in ihrer ersten Einzelausstellung in der Schweiz präsentiert, trägt den Titel Generic Corner (2015). Die der Recherche über sogenannte generische Lebensmittel und Haushaltsprodukte entsprungenen Arbeit, beschäftigt sich mit den Ende der 1970er Jahre in den USA aufkommenden Produkten ohne sichtbaren Markennamen. Diese wurden in weissen Behältnissen verkauft, auf denen lediglich in fettgedruckter schwarzer Schrift ihr jeweiliger Inhalt angegeben ist. Dahinter stand die Idee, dass die Hersteller die ersparten Ausgaben für Werbung und Produktgestaltung an die Konsumenten weitergeben sollten. Von allen grafischen Verzierungen befreit, wirken die Verpackungen so, als ob kein Design eingesetzt wurde, aber zugleich offenbaren die Verpackungen den künstlich kreierten Marketing-Hype, die Konzeptionierung von Begehrlichkeiten und die Erwartungen der Endverbraucher, die an die alltäglichen Gegenständen in unserer Umwelt geknüpft sind.
Weitreichend in den Schlussfolgerungen, ätzend im Biss und spielerisch im Umgang mit der eigenen Beziehung zur Inszenierung und Theatralik, thematisieren alle Arbeiten der Ausstellung Generic Corner auf unterschiedliche Art und Weise die Frage nach der alles bestimmenden Kommerzialisierung und Warenwerdung unseres täglichen Lebens durch den Kapitalismus, ob es unsere Lebensmittel, Urheberrechte oder gar das Begehren als Ware betrifft.
Andra Ursuta (*1979) verwendet eine breite Palette an Materialien für ihre Arbeiten welche oft auf prosaische Dinge wie Schaukeln, Stühle und Orte wie Übungsgelände oder Friseursalon verweisen, um daraus gespenstische Dinge zu erzeugen. Ihre Werke erscheinen wie aus einer Überlagerung von Angst, Melancholie und Nostalgie heraus entstanden zu sein, sind voller Dringlichkeit und haben einen Hauch von Endzeitstimmung inne. Alles scheint in den Händen der in Rumänien geborenen und in New York lebenden Künstlerin zu einer kraftvollen Form mit unleugbar dunklem Symbolismus zu finden. Für ihre Ausstellung Whites in der Kunsthalle Basel – ihrer ersten Einzelausstellung in der Schweiz – bereitet Ursuta eine neue und umfassende Installation vor, die sich aus einer älteren Arbeit Broken Obelisk aus dem Jahr 2013 speist. Zurückkommend auf diese vage anthropomorphe Skulptur, kreiert sie eine grosse Familie von neuen, verwandten Figuren. Jede dieser unheimlichen, festgelegten Formen hat Augenhöhlen oder Nasenlöcher aus menschlichen Schädeln in eine glatte Oberfläche eingearbeitet und erinnert gleichzeitig an Barnett Newmans gleichnamiges Denkmal und an eine altersschwache, vermummte Gestalt. Über die gesamte Weite des Oberlichtsaals verteilt, verwandelt dieses Ensemble von neuen Skulpturen die Kunsthalle vorübergehend in eine geriatrische Klinik für die westliche Moderne.
Ausstellungen in der Region Basel
Newsletter abonnieren
Einmal pro Monat einen Überblick auf Vernissagen und neue Ausstellungen