Museum Tinguely
09.04.2025 – 07.09.2025

Sandra Beate Reimann ist Kuratorin am Museum Tinguely. Sie hat die Ausstellung "Rebecca Horn. Körperphantasien" kuratiert.
Sandra Beate Reimann ist Kuratorin am Museum Tinguely.

Von Dr. Sandra Beate Reimann, Kuratorin

Gewalt und Tod trifft die Menschen nicht gleich. Je nach sozialem Geschlecht – aber auch abhängig von Wohlstand oder Race – sind Menschen sehr unterschiedlich davon betroffen. Geschlechtsspezifische Gewalt ist alltäglich und weit verbreitet, erfährt aber erst seit wenigen Jahren vermehrt Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft. Sie ist das Thema der Videoinstallation De tu puño y letra (By Your Own Hand) (2014–2015/2019) von Suzanne Lacy. Die in Los Angeles lebende Künstlerin ist Pionierin feministischer und aktivistischer Performancekunst. Mit ihrer partizipativ ausgerichteten und häufig in Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften entstehenden Social Practice engagiert sich Lacy gegen gesellschaftliche Missstände und für marginalisierte Gruppen. Schon seit den frühen 1970er-Jahren thematisierte sie Vergewaltigungen, gab den betroffenen weiblich gelesenen Personen eine öffentliche Stimme und benannte die patriarchalen Ursachen dieser Gewalt. 

In der Videoinstallation, die in Quito in Ecuador entstand, positioniert Lacy das Ausstellungspublikum mitten in einer Stierkampfarena. Nacheinander treten männlich gelesene Personen auf und lesen Passagen aus Briefen vor. Es sind erschütternde Zeugnisse brutaler geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, welche eine tiefe Beklemmung hinterlassen. Sie reichen von sexuellen Übergriffen bis hin zu Gruppenvergewaltigung und Femizid. In der kreisförmigen Anordnung der insgesamt sechs Videoprojektionen wird das Publikum direkt mit den Worten und Blicken der Akteure konfrontiert. Die lebensgrosse Darstellung der Lesenden macht die körperliche und emotionale Herausforderung ihres Auftrittes spürbar. Zugleich wird die Diskrepanz zwischen den männlichen Stimmen und den weiblichen Erfahrungen zu einem zentralen Element, das zum Nachdenken anregt und eine Reflexion über Geschlecht, Macht und Glaubwürdigkeit ermöglicht. Die Projektion endet mit einer zentralen Botschaft, welche die Perspektive von der individuellen auf die gesellschaftliche Ebene hebt:

«It’s necessary not to be afraid, I told myself, necessary to write in order to heal, share the pain with others.»

 

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