Bildhauer, Fotograf und Meister kunstvoller Inszenierungen, Konkurrent von Auguste Rodin und Vorbild für zahlreiche Künstler:innen: Medardo Rosso (1858, Turin–1928, Mailand) revolutionierte um 1900 die Bildhauerei. Trotz seines grossen Einflusses ist der italienisch-französische Künstler heute zu wenig bekannt. Die Ausstellung Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur will dies ändern. Die umfassende Retrospektive bietet die seltene Gelegenheit, Rossos Schaffen in einer Überblicksausstellung zu entdecken, und ermöglicht es, seine radikalen Erkundungen von Form, Material und Techniken nachzuvollziehen. Die enorme und bis heute anhaltende Wirkungskraft seines künstlerischen Schaffens offenbart sich in der Begegnung mit Werken von mehr als 60 Künstler:innen aus den letzten 100 Jahren, darunter Lynda Benglis, Constantin Brâncuși, Edgar Degas, David Hammons, Eva Hesse, Meret Oppenheim, Auguste Rodin und Alina Szapocznikow.
Kunstmuseum Basel
29.03.2025 – 10.08.2025
«Medardo Rosso ist zweifellos der grösste lebende Bildhauer», schrieb 1918 Guillaume Apollinaire in der Pariser Zeitschrift L’Europe nouvelle nach einem Atelierbesuch beim Künstler. Der einflussreiche Kunstkritiker und Poet erwies mit diesen Worten dem Schaffen
Rossos besondere Anerkennung. 1858 in Turin geboren, lebte Rosso ab 1889 für drei Jahrzehnte in der Kunstmetropole Paris und kehrte erst in seinen letzten Lebensjahren wieder in sein Heimatland Italien zurück. In Paris knüpfte er nicht nur Kontakte zu den Impressionist:innen, sondern lernte auch den damals schon bekannten Künstler Auguste Rodin kennen, mit dem er fortan an einer radikalen Neubestimmung der Gattung Skulptur arbeitete. Um überkommene Vorstellungen von Repräsentation, Produktion und Wahrnehmung zu überwinden, bedurfte es – so Rossos Überzeugung – einer grundlegenden «Verlebendigung» der Bildhauerei: «Es gibt keine Malerei, es gibt keine Plastik, es gibt nur ein Ding, das lebt.»

Der menschliche Massstab, die fragmentierte und dadurch intim wirkende Inszenierung sowie die bewegt-unscharfen Ränder von Rossos Figuren widersprechen den Ansprüchen einer für die Ewigkeit gedachten heroischen Monumentalskulptur, wie sie damals gängig war, und damit auch einer langen bildhauerischen Tradition. Ein ähnliches Anliegen verfolgte Rosso auch auf motivischer Ebene: Statt den ruhmreichen Heldenerzählungen widmete er sich vermehrt den Menschen des alltäglichen Lebens und schuf Werke, die das Wesen des Augenblicks einzufangen versuchten.
Für seine Figuren griff Rosso neben Bronze auf bescheidenere und vergänglichere Materialien wie Wachs und Gips zurück, die bis dahin in der Bildhauerei meist nur für Vorstufen oder als Hilfsmittel verwendet worden waren. Aufgrund ihrer Weichheit und Formbarkeit lassen sie einen flüchtigen Eindruck entstehen – ein Grund, weshalb seine Plastiken auch als skulpturale Version des Impressionismus gefeiert wurden. Im Laufe der Zeit konzentrierte sich der Künstler auf ein kleines Repertoire an Motiven, das er wiederholt in verschiedenen Materialien und Medien aufgriff und variierte, um unterschiedliche Wirkungen zu erzeugen. In der heutigen Zeit, in der das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, von Mensch und Technik mehr denn je zur Debatte steht, erscheint Rossos Schaffen deshalb als «alarmierend lebendig», wie die britische Künstlerin Phyllida Barlow (1944–2023) ihre Faszination für den Bildhauer und dessen Werk beschrieb.

Zwanzig Jahre nach der bisher einzigen Retrospektive in der Schweiz untersucht die umfassende Ausstellung Die Erfindung der modernen Skulptur insbesondere Rossos experimentellen und medienübergreifenden Ansatz. Sie versammelt ca. 50 Bronze-, Gips- und Wachsskulpturen des Künstlers sowie Hunderte von Fotografien und Zeichnungen. Viele dieser Werke waren in den letzten Jahrzehnten kaum ausserhalb von Italien zu sehen. Dem Prinzip des vergleichenden Sehens folgend, wird sein Schaffen in der Ausstellung in «Konversation» mit mehr als 60 historischen und zeitgenössischen Fotografien, Gemälden, Skulpturen und Videos gebracht.
Die Ausstellung wird kuratiert von Heike Eipeldauer (mumok) und
Elena Filipovic (Direktorin Kunstmuseum Basel).