Philippe Parreno
10.06.2012 – 30.09.2012
Fondation Beyeler, Riehen
von Michiko Kono*
Anfangs ist nichts als die schwarze Projektionsfläche zu sehen. Für einen längeren Augenblick in komplette Dunkelheit und Stille gehüllt, wird diese Erfahrung für Ohren und Augen fast schmerzhaft. Spätestens als plötzlich ein von Steinen und schwarzen Wurzeln übersäter Pfad erscheint, über den die Kamera wandert, wird dem Betrachter klar, dass es sich nicht um einen technischen Defekt handelt, sondern dass die Reise bereits begonnen hat. Kleine weisse Partikel tanzen durch die Luft, sie erinnern an Aschestaub. Am Horizont taucht nun eine Sonne auf, dann eine zweite. Um sie herum bleibt der Himmel vollkommen schwarz.
Der Begriff «CHZ» («Continuously Habitable Zones») bezeichnet in der Astrobiologie jene Planeten, auf denen die idealen Bedingungen vereint sind, um Leben entstehen zu lassen. Diese Zonen sind auf solchen Planeten anzutreffen, die Wasser in seiner flüssigen Form über einen langen Zeitraum herstellen und bewahren können, sodass sich Leben entwickeln kann. Verständlicherweise müssen die Temperaturen mild und konstant genug sein, damit das Wasser weder verdunstet noch gefriert. Potenzielle «Continuously Habitable Zones» konnten von Wissenschaftlern in weit entfernten Sonnensystemen mithilfe von Teleskopen identifiziert werden. Für die Wissenschaft ist es denkbar, dass sich Leben auf einem Planeten finden könnte, der zu einem System mit mehr als einer Sonne gehört. Setzt man Vegetation allerdings dem Licht mehrerer Sonnen aus, wird sie durch die saturierte Fotosynthese komplett schwarz. Diese Landschaften sind es, die Philippe Parreno in seiner neuen Videoarbeit Continuously Habitable Zones aka C.H.Z. thematisiert. Als Tonspur dienen unterirdische Aufnahmen, die Parreno selbst erstellt hat oder die aus den Archiven des seismografischen Observationszentrums von Porto stammen. In dem 14-minütigen Film wechseln in sechs Sequenzen unterschiedliche Landschaftsformen einander ab, bis am Ende wieder absolute Dunkelheit herrscht und nur entferntes Hundebellen die tatsächliche Präsenz von Leben suggeriert.
Dies ist einer der beiden neuen Filme, die der französische Künstler Philippe Parreno in der Fondation Beyeler zeigt und die den Kern seiner Ausstellung bilden. Wie so oft bei ihm sind diese Werke nicht als isolierte Einzelstücke zu verstehen. Die gesamte Ausstellung soll vom Betrachter wie eine Reise durch einen Vergnügungspark empfunden werden. Der Ablauf der Filmprojektionen und weiterer Installationen im Museum, die den Einsatz von Licht und Ton einbeziehen, wird vom Künstler mit Präzision orchestriert. Durch unerwartete Details entstehen Wahrnehmungsverschiebungen, die beim Betrachter Spuren hinterlassen sollen, als habe er sich beim Ausstellungsbesuch mit einem Virus infiziert, der, ebenso wie er sich unbemerkt eingeschlichen hat, nach einer gewissen Zeit seine Wirkung verliert und sich verflüchtigt. Dieser Virus wird durch eine DVD vergegenständlicht, die vom Besucher unentgeltlich mitgenommen werden kann. Sie beinhaltet die beiden Filme – doch nach einem im Vorfeld von Parreno definierten Datum kann der Inhalt nicht mehr ausgelesen werden und verschwindet.
Die zweite Videoarbeit, die in der Fondation Beyeler uraufgeführt wird, befasst sich mit dem Mythos Marilyn Monroe. Eine Suite des New Yorker Hotels Waldorf-Astoria, in dem Marilyn Monroe viel Zeit verbracht hat, wird im Detail durch die Augen der Schauspielerin gezeigt, während eine Stimme, die die ihre sein könnte, Impressionen vermittelt. Die Kamera schweift über das Inventar, einen Schreibtisch, ein Sofa, einen Blumenstrauss, Lithografien Goyas, die an der Wand hängen. Eine Füllfeder trägt auf dem eleganten Briefpapier des «Waldorf-Astoria» Notizen ein. Die Handschrift ist jene Marilyns, doch bald stellt sich heraus, dass diese Zeilen nicht von einer menschlichen Hand, sondern von einem Roboter niedergeschrieben werden. Dieser Roboter wurde eigens dafür programmiert, die Schrift Marilyn Monroes zu reproduzieren.
Zu beiden Filmen schrieb Parreno eine Art Drehbuch mittels beeindruckender Zeichnungen, in denen der Künstler mit präziser Feinheit und grosser Sensibilität seine Vision der Filme auf Papier übertragen hat. Die Ausstellung soll durch eine Soundinstallation ergänzt werden, die dem Betrachter das Gefühl vermittelt, dass das gesamte Museum, ähnlich wie Marilyn Monroe oder die Landschaft, die Parreno für Continuously Habitable Zones aka C.H.Z. gefilmt hat, zum Leben erwacht.
*Michiko Kono ist Associate Curator der Fondation Beyeler.