22.09.2024 – 26.01.2025
Von Raphael Bouvier
Henri Matisse (1869–1954) zählt zu den berühmtesten Künstlern der Moderne. Sein bahnbrechendes Werk hat seine Zeit wie auch nachfolgende Künstlergenerationen geprägt. In der Befreiung der Farbe vom Motiv und in der Vereinfachung der Formen hat er die Malerei neu definiert und dabei eine bis dahin unbekannte Leichtigkeit in die Kunst gebracht. Über 70 herausragende Werke des Künstlers aus renommierten Museen und Privatsammlungen sind in der Ausstellung in der Fondation Beyeler versammelt. Gerade in dieser Fülle erschliessen sich die stetige Entwicklung und der Reichtum von Matisse’ epochalem Œuvre.
Die Ausstellung Matisse – Einladung zur Reise in der Fondation Beyeler umspannt sämtliche sich über rund 60 Jahre erstreckende Schaffensphasen des Künstlers. Sie setzt mit den um 1900 entstandenen Bildern der Frühzeit ein, führt über die revolutionären
Gemälde des Fauvismus und die experimentellen Werke der 1910er-Jahre hin zu den sinnlichen Kompositionen der Nizza-Periode und der 1930er-Jahre, um schliesslich in den legendären Scherenschnitten des Spätwerks der 1940er- und 1950er-Jahre zu gipfeln.
Ihren Ausgang nimmt die Ausstellung bei dem berühmten Gedicht Einladung zur Reise des französischen Dichters Charles Baudelaire (1821–1867), auf das sich Matisse in seinen Werken wiederholt bezogen hat und in dem sich Leitgedanken seiner Kunst vorgebildet finden. Tatsächlich ist Matisse für seine Zeit auch selbst viel und weit gereist: nach Südfrankreich, Italien und Spanien, nach Russland, Nordafrika und Amerika und ebenso in die Südsee. Diese Reisen, die oft verbunden waren mit der Suche nach neuen Licht- und Farbeindrücken, haben ihn inspiriert und seine Kunst auf vielfältige Weise geprägt.
In Matisse’ pointillistischem Gemälde Luxe, calme et volupté von 1904 fügen sich flirrende Farbpunkte zu einer idyllischen Szenerie am Strand von Saint-Tropez. Mit dem Titel bezieht sich der Künstler direkt auf den Refrain von Baudelaires poetischer Einladung zur Reise: Überfluss, Ruhe und Genuss entfalten sich auch in Matisse’ Bildwelt. Ein Jahr später malt er im südfranzösischen Fischerdorf Collioure Das offene Fenster, in dem er die Farbe vom Gegenstand befreit und damit eine künstlerische Revolution begründet. Diese ist als «Fauvismus» in die Kunstgeschichte eingegangen, ein Begriff, der im französischen Wort «fauves» («wilde Tiere») wurzelt und mit dem man damals die Künstlergruppe rund um Matisse zu charakterisieren suchte. Matisse strebt in seinen fauvistischen Bildern nach höchster Farbintensität und verzichtet dabei weitgehend auf räumliche Tiefe.
Im Sommer 1907 unternimmt Matisse mit seiner Frau Amélie eine einmonatige Reise nach Norditalien, die sie nach Florenz, Ravenna und Venedig führt. In Padua hinterlässt die spätmittelalterliche Freskomalerei von Giotto einen nachhaltigen Eindruck auf den Künstler. Dies lässt sich insbesondere in dem grossformatigen Gemälde Badende mit Schildkröte erahnen – sowohl in der radikal reduzierten Landschaft als auch in der Körperlichkeit der Figuren. Die europäischen Einflüsse verbinden sich in diesem Werk mit den kraftvollen Körperformen der afrikanischen Bildhauerei, welche auf die moderne Kunst jener Jahre einen massgeblichen Einfluss ausübt. 1912 reist Matisse nach Marokko, wo er vom «schmelzenden Licht» begeistert ist. In Tanger entstehen Landschaftsbilder, in denen die Farbenpracht der blühenden Vegetation erstrahlt. Auf seinen Reisen erwirbt Matisse immer wieder dekorative Objekte, die von seiner Faszination für unterschiedliche Kulturen künden.
Die auf seinen Reisen gesammelten Eindrücke verarbeitet Matisse oftmals erst nach der Rückkehr nach Frankreich in seinem Atelier. Dieses wird selbst zu einem zentralen Thema seiner Bilder, wie etwa in Goldfische und Skulptur anschaulich wird. Das hier ganz in ein leuchtendes Blau getauchte Atelier in Issy-les-Moulineaux bei Paris hat der Künstler als Ort des Visionären und des Schöpfertums inszeniert. In den 1920er-Jahren residiert Matisse hauptsächlich in Nizza, wo künstlerisch beruhigte Werke entstehen, darunter die Odalisken-Bilder mit ihren gänzlich von Mustern überzogenen Interieurs.
1930 begibt sich Matisse auf eine lange Reise, die ihn über die USA bis nach Tahiti führt. Während seines dreimonatigen Aufenthalts in der französischen Kolonie sammelt er zahlreiche Eindrücke, die er jedoch erst 15 Jahre später in seinen Ozeanien-Bildern verarbeiten wird. Doch verleiht die Südseereise ihm neue Impulse, was, zurück in Frankreich, in eine weitere Werkphase mündet. Im imposanten Grossen liegenden Akt von 1935 etwa findet Matisse zu einer neuartigen Reduktion von Figur und Komposition.
Während der Genesung von einer schweren Krebsoperation fängt der Künstler mitten im Zweiten Weltkrieg an, erste eigenständige Scherenschnitte zu schaffen, wie sie ihm bislang lediglich als Hilfsmittel für Gemälde gedient hatten. Angesichts der drohenden Bombardierung Nizzas flüchtet Matisse nach Vence, wo seine letzten Gemälde entstehen.
Nach seiner Rückkehr nach Nizza fertigt er in den 1950er-Jahren seine grossformatigen «gouaches découpées»: Direkt aus bemaltem Papier schneidet er Formen aus, die er an den Atelierwänden zu Kompositionen arrangiert. In diesem Zusammenspiel von Malerei, Zeichnung und Skulptur erfindet sich Matisse im hohen Alter künstlerisch noch einmal neu. Schliesslich entstehen in den letzten Lebensjahren die berühmten Blauen Akte, darunter auch Blauer Akt mit grünen Strümpfen. In ihnen dringt der Künstler zur Quintessenz von Form und Farbe vor und gestaltet in aller Reduktion Werke von höchster sinnlicher Ausdruckskraft.
In einem eigens für die Ausstellung konzipierten Multimedia-Raum werden Matisse’ Reisen durch animierte historische Fotografien und Wandbilder erlebbar gemacht. Zudem ermöglichen Fotos und Filme Einblicke in seine Ateliers und den Entstehungsprozess seiner Werke.