Im Fokus der Ausstellung Nordlichter stehen 74 von Künstlerinnen und Künstlern aus Skandinavien und Kanada geschaffene Landschaftsgemälde, die zwischen den 1880er- und den 1930er-Jahren entstanden sind. Was die 13 Malerinnen und Maler der Ausstellung Nordlichter verbindet, ist die Landschaft des Nordens, insbesondere der boreale Wald, als gemeinsame Inspirationsquelle. Während Edvard Munch und Hilma af Klint Kunstinteressierten bekannt sein dürften, werden die Werke von Helmi Biese, Anna Boberg, Emily Carr, Prinz Eugen, Gustaf Fjæstad, Akseli Gallen-Kallela, Lawren S. Harris, J. E. H. MacDonald, Iwan Schischkin, Harald Sohlberg und Tom Thomson für ein breites Publikum spannende Neuentdeckungen sein.  

Fondation Beyeler
bis 25. Mai 2025

Von Louise Bannwarth,  Assistenzkuratorin
an der Fondation Beyeler

Die scheinbar unermesslichen Wälder, das strahlende Licht der im Sommer schier endlosen Tage, die langen Nächte im Winter und Naturphänomene wie das Nordlicht haben eine eigene moderne nordische Malerei hervorgebracht, die eine besondere Anziehungskraft und Faszination ausübt. Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem borealen Wald und seiner unendlich scheinenden Gleichförmigkeit und gewaltigen Ausdehnung spielt in fast allen Bildern der Ausstellung eine zentrale Rolle. Der boreale Wald, auch als Taiga bekannt, ist der grösste Urwald der Erde und trägt massgeblich zu ihrem ökologischen Gleichgewicht bei. Geprägt von dichten Nadelwäldern, erstreckt er sich südlich und nördlich des Polarkreises über grosse Teile Skandinaviens, Russlands und Kanadas. 

Akseli Gallen-Kallela, Frühlingsnacht, 1914
Akseli Gallen-Kallela, Frühlingsnacht, 1914

Das Wasser und Eis der unzähligen Seen und Fjorde ist gleichfalls elementarer Bestandteil der Landschaften des Nordens und bildet auf den Gemälden oft ein horizontales Gegengewicht zu den senkrechten Bäumen des Waldes, wie zum Beispiel in der von dem finnischen Maler Akseli Gallen-Kallela (1865–1931) gemalten Frühlingsnacht oder in dem von seiner Landsfrau Helmi Biese (1867–1933) geschaffenen Werk Blick vom Pyynikki-Grat.

Das besondere Licht des Nordens ist ein weiteres Merkmal der nordischen Landschaftsmalerei: die mystisch wirkenden Polarlichter, die in leuchtenden Farben den Himmel erhellen, die klaren Sommertage, an denen es nie ganz dunkel wird, die Mittsommersonne und im Winter die Dunkelheit der endlos langen Nächte. In einem Frühwerk hat die schwedische Malerin Hilma af Klint (1862–1944) einen Sonnenaufgang im Wald in eine vibrierende und quasi ungegenständliche Erscheinung verwandelt.

Im Jahr 1913 zeigte das Buffalo AKG Art Museum die wegweisende Ausstellung «Contemporary Scandinavian Art». Erstmals waren zeitgenössische skandinavische Kunstwerke in mehreren nordamerikanischen Städten zu sehen, unter anderem das von dem Norweger Harald Sohlberg (1869–1935) gemalte Bild Ein Haus an der Küste (Fischerhütte) von 1906. Vielsagend ist die Genese dieses Werks, die Sohlberg selbst später in einem Brief erläuterte:

«Wie Sie wissen, haben wir hier helle Sommernächte. Es war in einer dieser herrlichen, ruhigen Sommernächte, als ich ziellos umherwanderte und mich an dem wunderbaren, träumerischen Licht des Nordens erfreute, als ich plötzlich ein grossartiges Motiv in dem friedlich schlummernden Fischerhäuschen fand, einer winzigen, bescheidenen menschlichen Behausung in einer Umgebung voller natürlicher und geheimnisvoller Schönheit.»

Die einzigartige Atmosphäre des Nordens, geprägt von extremen klimatischen Bedingungen, hat diese junge Generation von Malerinnen und Malern dazu bewogen, neue Strategien zur bildlichen Darstellung der Natur zu suchen. Sie entwickelten eine spezifisch nordische Moderne, die Malerei eng mit Vorstellungen von nationaler Identität und der Verbundenheit mit der eigenen Kultur verknüpfte und die unwirtliche Natur in all ihrer Erhabenheit und ihren Feinheiten feierte. 

Es ist auffällig, dass in den ausgestellten Landschaften oft eine Natur zu sehen ist, in der der Mensch nur ganz am Rande vorkommt. Die Kinder in Edvard Munchs (1863–1944) Gemälde Kinder im Wald wirken geradezu verloren angesichts der überwältigenden Natur, die von Sohlberg beschriebene Fischerhütte steht in einem dunklen und bedrohlich wirkenden Wald. Oft sind auch nur flüchtige Spuren von Menschen abgebildet, wie die Fussabdrücke im Schnee bei Gustaf Fjæstad (1868–1948) oder der Zugrauch auf einem weiteren Gemälde von Munch. Es ist, als ob die Malerinnen und Maler in ihrer Kunst die romantisierte Illusion einer unberührten und menschenleeren Natur zu bewahren suchten. So hielten sie nicht lediglich das Gesehene in ihren Werken fest, sondern verliehen auch emotionalen Erlebnissen Gestalt in Bildern, die die Betrachtenden in die Weiten des borealen Waldes entführen und zum Nachdenken über die Beziehung zwischen Mensch und Natur anregen können.

Nordlichter ist eine Ausstellung der Fondation Beyeler, Riehen/Basel, und des Buffalo AKG Art Museum, Buffalo, New York. Sie wird kuratiert von Ulf Küster, Senior Curator, Fondation Beyeler, in enger Zusammenarbeit mit Helga Christoffersen, Curator-at-Large und Curator of the Nordic Art & Culture Initiative, Buffalo AKG Art Museum.

Im Auftrag der Fondation Beyeler hat der zeitgenössische dänische Künstler Jakob Kudsk Steensen (*1987) eine neue digitale Installation geschaffen, die begleitend zur Ausstellung im Park der Fondation Beyeler gezeigt wird. In Boreal Dreams setzt der Künstler sich mit den Auswirkungen der Klimakrise auf das Ökosystem der borealen Zone auseinander, indem er virtuelle Landschaften erschafft, die auf wissenschaftlicher Datenerhebung aus Feldforschung und Gaming-Technologie beruhen.

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